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PRESS-SCHLAGIrgendwie beliebig

■ Internationales Stadionsportfest ISTAF in Berlin: Rekordetat, Superstars und peinliche Pannen

Auf eigentümliche Weise erinnerte die Vorstellung am Tag vor dem Spektakel an eine Rassehundeschau: Oben auf dem Podest thront der preisgekrönte Carl Lewis, zu seiner rechten der gedrungene, kurzgeschorene Leroy Burrell, neben ihm der pudlige Lockenkopf Dieter Baumann. Auf der anderen Seite klemmt Kugelstoßer Werner Günthör zwischen den beiden Blondinen Heike Drechsler (Weitsprung) und Ellen van Langen (800m), und wirkte wie ein Berner Sennenhund in Begleitung zweier Haarschleifchen-Pekinesen. In der Mitte lobt das Preisgericht die Vorzüge der verschiedenen Modelle. Alsdann darf jedes Ausstellungsstück einmal kurz bellen („Ich bin sehr froh, in Berlin zu sein und werde mein Bestes geben“). „Na ja, es gehört halt dazu“, tröstete sich der genervte 5.000-Meter-Olympiasieger Baumann nach der langatmigen Lockvogel-Darbietung, „sagen wir mal: Es gibt Schöneres.“

Geld zum Beispiel, denn das war beim 51.ISTAF am Wochenende in Berlin reichlicher vorhanden als je zuvor. Mit einem Rekordetat von 2,5 Millionen Mark konnte Organisator Rudi Thiel mehr als zwei Dutzend olympisch veredelter Sportler einkaufen, dazu diejenigen, die in Barcelona fehlten oder enttäuschten und dementsprechend nach Revanche trachteten. Per Nacht- und Nebel-Aktion verpflichtete Thiel gar den Weltklasseläufer und Hasenschreck Moses Kiptanui, der innerhalb einer Woche in Köln und Zürich neue Weltrekorde über 3.000 Meter bzw. 3.000 Meter Hindernis aufgestellt und den Tempomachern das Fürchten gelehrt hatte.

Kiptanui bedankte sch mit einer werbewirksamen Ankündigung: Er wolle den Weltrekord über 2.000 Meter brechen. Auch der mexikanische 10.000-Meter-Läufer Arturo Barrios versprach — wie jedes Jahr —, den Weltrekord anzugehen, und Sergej Bubka, Stabhochspringer mit olympischer Ladehemmung, schwor, die Anfangshöhe zu meistern.

So kamen 45.500 Zuschauer ins Berliner Olympiastadion, um den Schweiß der Leichtathletik-Superstars live zu schnuppern. Doch so hochkarätig und professionell das Starterfeld, so stümperhaft war die Organisation. Das Hammerwerfen, ohnehin nicht die dynamischste aller Disziplinen, zog sich wie Kaugummi. Der Grund: Es war leider nur ein einziger Hammer aufzutreiben. Originell auch die Innovation beim 400-Meter-Hürdenlauf: Der gesamte zweite Hürdensatz fehlte. Wodurch sich Olympiasieger Kevin Young (USA) nur peripher irritieren ließ: Mit einer abfälligen Handbewegung ob der Stümperei überwand er „trocken“ das imaginäre Hindernis und gewann kopfschüttelnd in 47,81 Sekunden vor Samuel Matete (Sambia/48,23).

Peinlich berührt ob ihrer Fehlleistung waren die Organisatoren wild entschlossen, sich beim Stabhochsprung zu rehabilitieren. Ausgerechnet im dramatischen Duell zwischen den beiden Sechs-Meter- Springern Sergej Bubka und Rodion Gataullin erinnerten sich die Richter ans Regelwerk und erklärten dessen dritten Versuch über sechs Meter für ungültig. Zu spät hatte er abgebremst, der Stab war regelwidrig bereits im Einstichkasten. Gataullin schäumte. Sicher sei die Entscheidung formal richtig, doch hier würden doch ohnehin ständig die Regeln verletzt. Das Schiedsgericht blieb stur, und das Publikum strafte Thiel mit einem gellenden Pfeifkonzert. Dann scheiterte Bubka nach überwundenen sechs Metern am Rekordversuch über 6,13 Meter.

Doch ob Bubka oder Gataullin, Sotomayor oder Sjöberg, Torrence oder Ottey scheint ohnehin relativ egal zu sein. Ein Highlight jagte das andere, ein Superstar folgte dem nächsten — wer gewinnt oder verliert, ist zunehmend beliebig. Da läuft Weltrekordler Mike Powell zum Weitsprung an, hinter ihm wirft Lars Riedel den Diskus, während Carl Lewis überraschend Frank Fredericks über die 200 Meter unterliegt und Heike Henkel 2,00 Meter überfloppt. Verzweifelt wirft der überforderte Zuschauer den Kopf von links nach rechts, ergattert hier einen Sprung, dort einen Wurf. Den langatmigen technischen Disziplinen zu folgen, ist unmöglich. Der Zuschauer im Stadion erfährt erst bei der Siegerehrung, wer gewonnen hat. Wen allerdings der Sport, die Leistung, das Höher, Schneller, Weiter interessiert, der muß halt zu Hause bleiben — vor dem Fernseher. miß

Männer, 400 m: 1. Samson Kitur (Kenia) 44,75 Sek., ISTAF-Meile: 1. William Kemei (Kenia) 3:48,80 Minuten (Jahresweltbestzeit); 400 m Hürden: 1. Kevin Young (USA) 47,81 Sekunden; 2.000 m: 1. Moses Kiptanui 4:52,53 Minuten; Diskus: 1. Lars Riedel (Mainz) 68,66 m; 110 m Hürden : 1. Colin Jackson (GB) 13,05 Sekunden; 800 m: 1. Nixon Kiprotich (Kenia) 1:44,72 Minuten; Kugelstoßen: 1. Werner Günthör (Schweiz) 21,07 m; 3.000 Meter Hindernis: 1. Patrick Sang 8:11,14 Minuten; Hochsprung: 1. Javier Sotomayor (Kuba) 2,34 m; Weitsprung: 1. Mike Powell 8,57 m; 10.000 m: 1. Arturo Barrios (Mexiko) 27:34,60 Min., Hammerwerfen: 1. Igor Astapkowitsch 81,04 m.

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