: Besetzte Gebiete: Autonomiekonzepte unvereinbar
Unterschiedliche israelische und palästinensische Vorstellungen von „Selbstverwaltung“ werden Nahostgespräche bestimmen ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Im Mittelpunkt der Nahostverhandlungen stehen ab jetzt die Autonomieverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern. In den Gesprächen ihrer Delegationen werden nicht nur unterschiedliche, sondern auch unvereinbare Konzepte von palästinensischer Selbstverwaltung in den besetzten Gebieten aufeinanderprallen. Das israelische Modell einer sog. „Interim Selfgoverning Authority“ (ISGA) hat mit dem „Palestinian Interim Selfgoverning Authority Programm“ (PISGA) fast nichts gemein. Der PISGA-Plan wurde bereits Anfang des Jahres vorgelegt. Er betont den Übergangscharakter der Autonomie. Sie soll die Voraussetzungen für die Gründung eines selbständigen Palästinenserstaates schaffen, der an Israel grenzt und mit Jordanien voraussichtlich ein Staatenbündnis eingehen soll. PISGA setzt die Existenz und die Rechte eines palästinensischen nationalen Kollektivs voraus. Die israelische Position schließt diese Perspektive hingegen grundsätzlich aus. Das Thema eines Palästinenser-Staates soll unter keinen Umständen auf die Agenda jener Gespräche kommen, die nach drei Jahren Autonomie-Erfahrung zum Abschluß eines langfristigen Vertrages führen sollen.
Der israelische Autonomie-Plan ISGA verlangt, daß die „Autonomie- Zwischenlösung“ das zukünftige Schlußabkommen nicht vorherbestimmt. Den Palästinensern soll unter israelischer Kontrolle und Aufrechterhaltung der Besatzung eine begrenzte lokale Selbstverwaltung gewährt werden, auf Gebieten wie Sicherheit, öffentliche Ordnung, Außenpolitik usw. soll die israelische Besatzungsmacht alle Kontrolle behalten. Das israelische Konzept hebt außerdem besonders hervor, daß die Selbstverwaltungsbehörde der Palästinenser lediglich administrativ-funktionellen Charakter haben darf. Das bedeutet: Sie darf weder legislativ noch exekutiv handeln.
Nichtstaatliche Existenz
Was nicht ausdrücklich der Selbstverwaltung übergeben wird, bleibt ausschließlich den Besatzungsbehörden überlassen, als der Quelle aller rechtmäßigen Macht. Unter anderem sollen die Palästinenser keinerlei Befugnisse gegenüber den israelischen Siedlern und den Einrichtungen der Besatzungsmacht haben. Die Palästinenser im annektierten Ostjerusalem und im weiteren Umkreis der Stadt sollen zu dieser Selbstverwaltungsbehörde in keinerlei Beziehung stehen. Die Palästinenser werden im ISGA-Konzept nicht als Kollektiv behandelt, sondern als eine Ansammlung arabischer Individuen unter israelischer Hoheit. Der israelische Autonomie- Plan soll eine Form nichtstaatlicher Existenz der Palästinenser festlegen.
Der Palästinenser-Plan PISGA sieht hingegen vor, daß die zukünftige Selbstverwaltungsbehörde alle Machtbefugnisse übernimmt, die gegenwärtig bei der militärischen und zivilen Verwaltung der Besatzungsmacht liegen. Die israelische Besatzungsarmee soll schrittweise auf Stützpunkte an der Grenzlinie zwischen Israel und den besetzten Gebieten zurückgezogen werden, die in einer gemeinsamen israelisch-palästinensischen Kommission festgelegt werden. Wichtig im palästinensischen Plan ist die Forderung nach einer palästinensischen Gerichtsbarkeit. Verlangt wird auch, daß die von den Palästinensern gewählte Selbstverwaltungsbehörde gesetzgebende Machtbefugnisse erhält. Außerdem soll ihr die Kontrolle über den Boden, den Luftraum, das Wasser und die Bodenschätze in Westbank und Gaza-Streifen übertragen werden. Die Selbstverwaltungsbehörde soll durch demokratische Wahlen in der Westbank und im Gaza-Streifen legitimiert werden. PISGA sieht vor, daß vorher alle (para-)militärischen und polizeilichen Einheiten Israels aus den eng besiedelten Teilen der besetzten Gebiete zurückgezogen werden, um jegliche Einmischung in die Wahlen zu unterbinden.
Die USA und die Regierung Schamir wiesen diesen Plan als Verhandlungsgrundlage ebenso zurück wie die jetzige Regierung Rabin. Bei seinem letzten Israel-Besuch verlangte US-Außenminister Baker von den Palästinensern eine „pragmatischere“, das heißt für Israel günstigere Einstellung. Sie sollten PISGA einer „realistischen“ Revision unterziehen. Sari Nusseibeh, Mitglied des palästinensischen Führungskomitees, erklärte bereits, daß man vor allem in der Frage der Kontrolle über das Land und die Bodenschätze und im Hinblick auf das Jerusalem-Problem Kompromisse werde suchen müssen. Die Palästinenser haben darum in den letzten Wochen fieberhaft an einem neuen, umfassenden Autonomiekonzept gearbeitet, das jetzt „enthüllt“ werden soll. Nusseibeh war überzeugt, daß der ursprüngliche Palästinenserplan für die Wahl einer legislativen Volksvertretung fallengelassen werden muß: „Die Wahlen, die tatsächlich infrage kommen, werden nicht sein, was die Palästinenser sich wünschen, sondern was die USA und Israel zulassen.“
Von Shamir zu Rabin
Grundsätzlich will die Arbeitspartei das Gleiche wie der Likud: ein Autonomie-Stadium für die Palästinenser, das die israelische Kontrolle der besetzten Gebiete nicht einschränkt. Trotzdem gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen beiden Positionen: Während Likud die „Autonomie“ als eine Konstruktion betrachtet, die ganz und gar israelischer Hoheit unterliegt, ist Rabin geneigt, die Selbstverwaltung zumindest perspektivisch mit Jordanien zu verknüpfen. Die Pläne der USA sind mit den Vorstellungen der Arbeitspartei seit langem fast identisch. Die Palästinenser werden sich jetzt folglich einer israelisch-amerikanischen Front gegenübersehen.
Die zwischen Rabin und Bush abgestimmte „Lösung“ für die Westbank und den Gaza-Streifen geht auf die „Autonomie“-Konzepte des Camp-David-Abkommens zurück, das 1978 ohne die Palästinenser und gegen ihren Willen zwischen Israel und Ägypten abgeschlossen wurde. Von den gegenwärtigen Führern der Arbeitspartei wurde es vor vier Jahren erneut aufgegriffen und schließlich auch von Schamir zur offiziellen Regierungspolitik erhoben. Den Palästinensern wurde nahegelegt, den Plan zu akzeptieren, wenn sie nicht Schlimmeres in Kauf nehmen wollen. Israel sichert sich bei dieser Lösung US-Finanzhilfe und politische Unterstützung. In „Großisrael“ kommt es zu einer Stabilisierung der inneren Sicherheit, und die besetzten Gebiete sind leichter beherrschbar, wenn die Intifada im Vorbereitungsstadium der „Autonomie“ eingestellt werden muß. Voraussichtlich werden die Differenzen im palästinensischen Lager jetzt so im Vordergrund stehen, daß Israel mit Erfolg „divide et impera“-Politik betreiben kann. Was weiterhin fehlen wird, ist eine politische Lösung, die den Palästinensern Grundrechte und Selbständigkeit und den Völkern des Nahen Ostens einen stabilen Frieden bringt.
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