HVV steuert auf Finanzdebakel zu

■ Streit um die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs: Bonn verweigert Geld, Hamburg hat kein Konzept

: Bonn verweigert Geld, Hamburg hat kein Konzept

Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt sind die Eckpfeiler der Hamburger Nahverkehrsfinanzierung zusammenbebrochen. Das Erdbeben mit dem Epizentrum Brüssel ereignete sich bereits am

1.Juli 1992 um genau 0.00 Uhr. Die Schockwellen der EG-Verordnung 1893/91 überrollten das gesamte Bundesgebiet. Fast überall hielt bislang die verkehrspolitische Oberfläche, auch wenn Experten wegen der Vielzahl von Rissen vor schweren Schäden warnten, wenn nicht sofort gehandelt werde.

Am Wochenende riß in Hamburg der Boden urplötzlich auf — ein Loch von 500 Millionen Mark wurde sichtbar. Bundesfinanzminister Theo Waigel verweigerte der Bundesbahn die Bestellung von 45 neuen S-Bahn-Zügen für Hamburg. Stadtchef Voscherau drohte prompt mit dem Rauswurf der S-Bahn aus dem HVV.

Hintergrund dieses Fingerhakelns: Seit dem 1. Juli 1992 gilt in Deutschland die EG-Verordnung 1893/91, derzufolge jede Art von Nahverkehr allein Sache der jeweiligen regionalen oder kommunalen Körperschaft ist. Auf deutsch: Dort, wo Nahverkehrsdefizite anfallen, müssen sie auch bezahlt werden. Diese EG-Verordnung hebelt die bisherigen Prinzipien aus: Bonn zahlte bislang als Bundesbahneigner die S-Bahn-Defizite, tätigte auch alle Investitionen, zahlte zudem aus Mitteln der Mineralölsteuer 60 Prozent Zuschüsse zu kommunalen Verkehrsinvestitionen. Die Defizite aus dem Betrieb verblieben den Gemeinden hängen.

Mit diesem komplizierten Mischmasch ist in Zukunft Schluß. Das Problem: Weder Bonn noch die Länder und Gemeinden haben sich bislang darauf geeinigt, wie denn auf der Basis der EG-Verordnung ein neues Gebäude zur Verkehrsfinanzierung errichtet werden könnte. Mit Übergangsregelungen zog sich Bonn bislang aus der Affäre. Das macht Sinn: Mit der Bahnreform und mit Auslaufen der Übergangsregelungen ist Bonn dann die ganze Last der Nahverkehrsfinanzierung los.

Waigels Konzept: Bonn erklärt sich bereit, in Zukunft jährlich soviel wie bisher, ca. drei Milliarden Mark für Investitionen und sieben Milliarden Mark für S-Bahn-Defizite, Schüler- und Behindertenverkehr an die Länder zu überweisen. Damit müßten die Länder allein die Mittel für steigenden Defizite und zusätzliche Verkehrsinvestitionen aufbringen. Die haben sich gegen diese Taktik bislang nur halbgar gewehrt, jammerten zwar unisono, blieben aber Konzepte schuldig.

In diese Grauzone hinein konnte Waigel jetzt in aller Seelenruhe sein S-Bahn-Njet plazieren. Hamburgs (wenige) Fachleute kannten die Problematik seit langem — kniffen aber die Augen zu. Stattdessen verhandelte Voscherau öffentlichkeitswirksam mit der Bundesbahn um die Übernahme der S-Bahn. Hamburgs Unterhändler ließen sich dabei derart über den Tisch ziehen,

1daß Hamburg jetzt endlich eine eigene Planungsgesellschaft gründete, nur zu dem Zweck, ein qualifiziertes S-Bahn-Gutachten zu erstellen. Die einzig entscheidende Frage des neuen Finanzkonzepts blieb aber ungeklärt. Dabei liegt die Lösung aus Sicht vieler Experten auf der

1Hand: Bonn muß die Mineralölsteuer kräftig erhöhen und diese Mittel über die Bahnreform hinaus an die Länder weiterreichen. So könnte die enorme Chance, die in der von der EG verordneten Regionalisierung liegt, auch genützt werden. Florian Marten.