.„Der Boock ist nicht meine Front“

Die Stammheimer Geschichte wollte ich eigentlich nicht auf Boock reduzieren. Und wie die Setzerin, so fauchte mich bereits Ulla Jelpke in Santa Fu an, als ich das Ziehsöhnchen Boock mit offenem Visier zur Rede stellte. Wo ist denn das „Anpissen“ ein Argument? Jelpke sprach damals von „Anpinkeln“.

Mit der Wahrheit stiftet man eben Unheil. Eigentlich müßte es auch so kritische Hirne wie bei der taz nachdenklich stimmen, daß für Leute wie Boock oder Lotze stets Interviews genehmigt werden. Zu revolutionären Gefangenen wird ein Journalist weder der taz noch der bürgerlichen Medien zugelassen. Vom kleinen Lokalradio-Sender bis hoch zum Chefreporter Peter Wüst beantragten Journalisten bereits in Hamburg, ein Interview mit mir machen zu dürfen. Dies wurde von der Justizbehörde Hamburg abgelehnt, obgleich ich zu diesem Zeitpunkt der Insassen-Vetreter in Santa Fu war, der die höchste Zahl an Stimmen Gefangener bekam, die je auf einen abgegeben worden waren. Und erst ein Gerichtsbeschluß gegen die Anstalt, die meine Kandidatur bis zuletzt mit allen juristischen Mitteln verhindern wollte, ermöglichte erstmals eine faire Wahl. Und während meiner Haft in Santa Fu sprach ich nicht einmal mit der Anstaltsleitung, war auch nie auf der Verwaltung. Auch die Bitte des Justizsenators um ein Gespräch wies ich zurück. Vom Dache kam ich erst, als der Senator Curilla alle gestellten Bedingungen per Unterschrift auf einer Urkunde bestätigte, die mir auf das Dach gereicht worden war. Das könnt ihr im Hamburger Abendblatt vom Mai 1990 nachlesen.

Ich habe andere Geschichten am Halse als solch einen Boock. Der ist nicht meine Front. Es geht nur nicht, daß seine Touren unwidersprochen bleiben. Wenn der Boock seine Intelligenz für die Rechte Gefangener einsetzte, nicht ständig bei üblen Gefängnisleitern aus Eigennutz säße, wäre er ja eine Bereicherung für den Widerstand.

1972 war mir ein politischer Gefangener, Siegfried Hausner, im Karlsruher Knast begegnet. Das war ein Schlüssel-Erlebnis! Die einzigen beiden Sicherheitszellen dort waren von uns belegt. Ich, damals blutjung als Chef der berüchtigten Bankeinbrecherbande („Bitumen-Bande“) in feinstes Tuch gehüllt in U-Haft, Hausner im blauen Zuchthausdrillich mit der Mao-Bibel im Hof. Ein schmächtiger, kleiner Gefangener mit Brille. Aber was für ein Revolutionär! Eine Kraft, eine Power und eine Hilfsbereitschaft, die alles in den Schatten stellt, was ich je erlebte. Ein Wahnsinns-Typ! Was glaubt ihr, was der mit einem Boock gemacht hätte, wäre er je an ihn rangekommen! Auf Konterrevolutionäre hatte der keinen Bock!

Ohne einen wie Hausner wäre ich nie aufgewacht, für den Rest des Lebens dumm geblieben. Bücher waren für den da, damit sie Mitgefangene lesen. Der war ein Aufklärer. Von dem bekam ich erst einmal Brecht, Tucholsky, Sartre und auch Hegel. Mit Knastleitungen hat der nie gemauschelt. Vor allem auch nicht weggeschaut, wenn ein Gefangener auf einer Zelle verreckt war, wohl aber Boock. Zum Beispiel bei Uwe Voss, als Boock noch Insassenvertreter war, mit den „sauberen“ Brüdern Ewers. Auf den Toten Uwe Voss, meinte Boock, da solle man einen Kranz stiften. Das war im Sinne der Anstaltsleitung, die einen Tannenreisig auf ein stilles Grab auch lieber sieht als einen Aufstand.

Um es kurz zu machen: „ihr“ kotzt mich verdammt an mit eurer Boock- Verteidigung. Boock sitzt bei Knast- Konzerten in der Anstalt immer in der ersten Reihe, bei Revolten beim Pfarrer. Das sind Fakten. Mir geht es, zum Teufel auch, nicht um den Boock, immer um die Sache. Aber dort, wo er zur Sache wird, läßt sich die Personalisierung nicht vermeiden.

Seit Jahren bekämpfe ich Anstaltsleitungen, auch solche, bei denen Boock ein- und ausgeht. Normal habe ich weder Zeit noch Lust, mich mit Boock auseinanderzusetzen. Doch ich habe an die toten Revolutionäre gedacht, an meinen Zellen- Nachbarn von 1972, der so jung an seinen Brandverletzungen starb, an Justiz und Presse, die die tollsten Geschichten erfinden, und mußte euch das schreiben. Immer höre ich von den Tussies nur von Anpissen. Argumente haben sie keine! Die Haft, die ich seit Jahren mit Bewußtsein schiebe, würden weder Boock noch seine Tussis aushalten, um nicht ständig Tränen zu pissen. Seit der Revolte 23 Stunden Zellenhaft, kein Radio, seit Jahren nicht einmal den Einkauf einer Zitrone. Aber niemals ein Boock oder anderer Sänger.

Ist doch schön, das bißchen Anarchie, wenn eine eifrige Setzerin noch in Leserbriefe pinkelt, in Ermanglung an Geist. (Arschloch! — Jan Harms)

Was hatte ich die Bildzeitung bei der Revolte vom Gefängnisdach mit allen möglichen und unmöglichen Schimpfworten bedacht. Statt Pisse wollten die mir noch Fernkurse schicken. Arme taz!

Michael Jauernik, JVA Straubing