Nur noch zweite Wahl

■ Nach Thierses Absage schmort die Berliner SPD nun im eigenen Saft

Nur noch zweite Wahl Nach Thierses Absage schmort die Berliner SPD nun im eigenen Saft

Nach Thierses Rückzug ist das Dilemma der Berliner SPD perfekt. Auch wenn die Parteirechte zum Schluß nicht mehr darauf

beharrte, die Frage der Spitzenkandidatur jetzt zugunsten des Fraktionsvorsitzenden Ditmar Staffelt zu entscheiden, bleibt ein Hauch von Kandidatenvertreibung. Wolfgang Thierses Rückzug ist deshalb auch ein schlimmes Urteil über den Zustand der Partei. Die unzeitgemäße Debatte bot ihm genug Anschauungsunterricht, auf welchen ungeordneten und antiautoritären Haufen er sich hätte einstellen müssen. Sein Rückzug ist daher ein Sieg der Bezirke, auf den diese nicht stolz sein können. Thierse hat rechtzeitig erkannt, welche schweißtreibende und seine eigenen Kräfte übersteigende Aufgabe es wäre, die Fürstentümer zu knacken, damit aus der Berliner SPD mehr als ein politischer Sponti-Verein wird. Es beleuchtet die Selbstüberschätzung und den Realitätsverlust der Parteiniederungen, zu glauben, der Job des Landesvorsitzenden sei so attraktiv, daß man einem personalpolitischen Glücksfall wie Thierse auch noch

Bedingungen diktieren könne. Thierse sollte repräsentieren, aber den Bezirksfürsten nicht weh tun. Das hat Tradition. Führung, das demonstrierte in den achtziger Jahren der enorme Verschleiß an Landes- und Fraktionvorsitzenden, ist etwas, was man am liebsten vermeidet. Nun sitzt die SPD in der Klemme. Die Partei hat selbst dafür gesorgt, daß es nach Thierse nur noch Kandidaten zweiter Wahl gibt. Schon werden in Berlin nur noch eingefleischten Parteikadern bekannte Namen gehandelt. Alles läuft nun auf den Fraktionsvorsitzenden Ditmar Staffelt hinaus, der sich zwar nach der Spitzenkandidatur, nicht aber nach dem Landesvorsitz gedrängt hat. Alles läuft nun auf ihn hinaus. Für die Partei aber kann das Ergebnis nur fatal sein. Neue Mehrheiten in Berlin und damit ein Ende der großen Koalition kann es nur über eine veränderte Partei geben. Thierse hatte das Format, die Spaltung der Sozialdemokraten in beiden Stadthälften zu überwinden, die SPD für neue Wählerschichten attraktiv zu machen und Zukunftskonzepte für die verunsicherte Hauptstadt zu entwickeln. Einen Landesvorsitzenden Staffelt aber, der nicht politischer Visionär sondern Kunsttischler des pragmatischen Kompromisses ist, muß die doppelte Aufgabe zerreißen. Der Spagat zwischen der kleinteiligen, von mannigfaltigem Krötenschlucken begleiteten Kärrnerarbeit in der Großen Koaliton und der Aufgabe des Landesvorsitzenden, der für ausgreifende Strategien und neue Zielsetzungen steht, muß schiefgehen. Das Ergebnis wäre eine noch zaghaftere Parteiverwaltung und Augleich der Flügel, als es bisher schon der Fall ist. Daß sie nun ohne Alternative zu Staffelt sind, haben sich die Berliner Genossen aber selbst zuzuschreiben. Gerd Nowakowski