Eklat nach erster Runde der Wahlen im Libanon

Schiitischer Parlamentspräsident Hussein Husseini trat zurück/ Wahlniederlage in Baalbek gegenüber den proiranischen Hizballah/ Nur geringe Beteiligung beim ersten Wahlgang/ Prosyrische Parlamentsfraktion unter Dach und Fach  ■ Aus Baalbek Khalil Abied

Einen Tag nach der ersten Runde der Parlamentswahlen im Libanon kam es zum Eklat: Der schiitische Parlamentspräsident Hussein Husseini kündigte gestern seinen Rücktritt an, nachdem er zuvor die Annullierung der Wahlen vom Sonntag gefordert hatte. Der Hintergrund: eine eklatante Niederlage des Politikers in der ostlibanesischen Stadt Baalbek gegenüber den Kandidaten der proiranischen, gleichfalls schiitischen Hizballah („Partei Gottes“).

Bereits in der Nacht zum Montag hatte Husseini die Regierung beschuldigt, die Wahlen verfälscht zu haben, und den Abbruch der Wahlen gefordert. Er sprach in einer Presseerklärung von „einer Verschwörung gegen die Kräfte, die die Einheit des Libanon schützen wollen“. In der Umgebung Husseinis hieß es, bewaffnete Truppen hätten Druck auf die WählerInnen ausgeübt, um sie zu zwingen, für bestimmte Kandidaten zu stimmen. Hizballah wurde vorgeworfen, ein Klima der Angst zu schaffen, so daß sich viele Wähler nicht an die Urnen trauten.

Husseinis Manöver

Ersten Ergebnissen zufolge hat Hizballah, die sich von einer Untergrundbewegung in eine politische Partei gewandelt hat, in Baalbek einen klaren Sieg davon getragen. Nach Auszählung in fast siebzig Prozent der Wahllokale haben alle acht Hizballah-Kandidaten zwischen 16.000 und 23.000 Stimmen erzielt. Husseini errang demgegenüber ganze 5.000 Stimmen. Beobachter gingen gestern davon aus, daß Husseinis Manöver letztendlich auf einen Kompromiß mit Hizballah oder, anders gesagt, eine Verfälschung der Ergebnisse abzielten, damit er und einige andere Kandidaten seiner Liste doch noch ins neue Parlament kommen. Doch offenbar zeigte sich Hizballah nicht verhandlungsbereit, und die Regierung nicht geneigt, die Wahlen, die an drei aufeinanderfolgenden Wochenenden stattfinden, abzublasen, und Husseini zog die Konsequenz. Für gestern nachmittag wurde eine Sondersitzung zum Thema Wahlen anberaumt. Es war zunächst noch nicht klar, ob die nächste Runde der Wahlen am kommenden Sonntag stattfinden wird. Ein libanesischer Minister, der anonym bleiben wollte, sagte, sie würden bis zum Ende durchgeführt.

Insgesamt kennzeichneten eine niedrige Wahlbeteiligung, der Vorwurf der Wahlfälschung und das schlechte Abschneiden der Pro-Regierungs-Kandidaten die erste Runde der Wahlen. In zwei Provinzen, der Bekaa-Ebene und dem Nordlibanon, sollten 51 der insgesamt 128 Abgeordneten des Parlaments gewählt werden. Zur Wahl gestellt hatten sich 253 Kandidaten. Die Regierung hatte trotz des Boykottaufrufes der christlichen Opposition, der in den mehrheitlich von Christen bewohnten Vierteln auch weitgehend befolgt wurde, an der Durchführung der Wahlen festgehalten. Als zum offiziellen Abstimmungsbeginn am frühen Sonntag morgen in einigen Wahllokalen noch keine Wahlurnen bereitstanden, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Regierungskandidaten und der Opposition, die der Regierung vorwarfen, die Wahl ihrer Kandidaten verhindern zu wollen. Nachdem die Urnen Stunden später auftauchten, beruhigte sich die Stimmung. Doch der Vorwurf der Wahlfälschung blieb, waren doch zumindest einige der Wählerlisten nicht auf dem aktuellsten Stand: Einige Kandidaten zeigten mir Listen mit Namen, die 1834 geboren sind. „Die Regierung muß Wahllokale auf Grabsteinen errichten“, kommentierte einer.

Überraschend schlecht kamen die Kandidaten der Pro-Regierungs-Listen weg. Prominentester Verlierer ist Roy Hrawi, der Sohn des libanesischen Präsidenten. Er konnte sich in der christlichen Stadt Zahle nicht behaupten. Auch in dieser ostlibanesischen Stadt, in der nicht die Maroniten, sondern Katholiken die Mehrheit der Bevölkerung stellen, war die Wahlbeteiligung sehr niedrig. Von den Pro-Regierungs-Kandidaten wurden Elias Skaf und zwei weitere Persönlichkeiten gewählt; die anderen vier Sitze gingen an unabhängige Kandidaten, darunter ein Drogenhändler und ein Multimillionär, die samt und sonders ohne Programm antraten. In der Wahlbeteiligung dürfte sich auch die Tatsache niedergeschlagen haben, daß viele Libanesen den Wahltermin für verfrüht halten; das Ergebnis ist eine Protestwahl gegen die Regierung in Beirut. Im Bezirk der westlichen Bekaa-Ebene siegte demgegenüber die Liste von Innenministers Sami al Khatib auf der ganzen Linie.

Syrische Hochburg

In Zahle gingen, wie an anderen Orten, die Angaben über die Wahlbeteiligung stark auseinander. Während Innenminister Sami al Khatib erklärte, daß 40 Prozent der WählerInnen in der christlichen Stadt Zahle ihre Stimmen abgegeben haben, war vor Ort von nur 15 Prozent die Rede. In der Stadt Beschiri, dem Geburtsort des Führers der christlichen „Libanesischen Streitkräfte“, Samir Geagea, gingen nur 5 Prozent der WählerInnen an die Urnen. Sogar in Zaghorta, der Stadt des prosyrischen ehemaligen Präsidenten Suleiman Frangi, machten nach offiziellen Angaben nur ein Viertel der Berechtigten vom Wahlrecht Gebrauch, Beobachter halten 10 Prozent für realistischer. In der sunnitischen Stadt Tripoli im Nordlibanon lag die Wahlbeteiligung nach offiziellen Angaben bei 60 Prozent, informierte Kreise sprachen jedoch nur von der Hälfte.

Die christliche Opposition, die zum Boykott aufgerufen hatte, sieht sich durch diese Ergebnisse bestätigt. Der christliche Führer im Exil, Raymond Eddé bezeichnete die Wahlen als Skandal, und der ehemalige libanesische Präsident Amin Gemayel forderte die Regierung auf, die Wahlergebnisse für ungültig zu erklären.

Die erste Runde der Wahlen sind für Syrien, das rund zwei Drittel des Landes besetzt hält, sehr wichtig. Der Nord- und Ostlibanon war schon immer die Hochburg Syriens im Libanon, auch unter einigen einflußreichen Christen-Clans. Die 51 von 128 Abgeordneten, die am Sonntag gewählt wurden, stellen fast 40 Prozent des Parlaments. Auch die Familie des siegreichen Skaf unterhielt stets gute Beziehungen zum Nachbarland. Und die Unabhängigen, die mit ihm ins neue Parlament einziehen werden, sind zumindest nicht antisyrisch eingestellt, von der Liste des Innenministers ganz zu schweigen. Die Regierung in Damaskus weiß, daß sie weder in Beirut noch im Süden des Landes mit guten Ergebnissen rechnen kann. Daher hofft sie darauf, ihren Einfluß in der ersten Runde zu stärken. Angesichts der bisherigen Ergebnisse kann sie zufrieden sein. Von daher ist auch kaum damit zu rechnen, daß der Urnengang wiederholt wird. Für Überraschung sorgte allein das gute Abschneiden der Hizballah. Nun darf man gespannt sein, wie viele Kandidaten diese Partei in Beirut und im Südlibanon durchbringen wird.