Wirtschaftslektionen für die Kandidaten

■ Die Prädidentschaftsanwärter Bush und Clinton bieten der lädierten Wirtschaft keine Alternative Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten läßt sich der Konjunkturdampfer nicht flottkriegen

Washington (taz/dpa/AP) — Wenn die Wall Street stagniert, sind George Bushs Tage gezählt. Nach dem dramatischen Kursverfall des US-Dollars in den letzten Wochen muß nicht nur der amerikanische Präsident fürchten, daß die schlechte Stimmung auf den größten Börsenplatz der Welt übergreift und die Notierungen in eine Baisse stürzt. Daß der Dow-Jones, der Aktienindex für die 30 wichtigsten Industriewerte, ebenfalls leicht nachgab, wird von den Börsianern als Zeichen gewertet, daß auch die Finanzmärkte die Ankündigungen George Bushs inzwischen nicht mehr ernst nehmen.

Der Präsident hatte auf seiner Parteitagsrede in Houston nicht näher spezifizierte Steuersenkungen angekündigt, falls sich der Senat zu kräftigen Budgetkürzungen durchränge. Ansonsten konnte Bush in der Lage keine Schwächen sehen. Die USA seien die bedeutenste Exportnation, die Zinsen niedrig und die Inflation hinter Schloß und Riegel. Er setzt auf die unter seinem Vorgänger Ronald Reagan praktizierte Politik, wonach niedrige Steuern und möglichst wenige staatliche Vorschriften die Unternehmen zu Investitionen und damit zur Schaffung von Arbeitsplätzen bewegen und so der Wohlstand nach unten durchsickert. Mit seinem Fiskalprogramm, das neben einer Reduktion der Kapitalgewinnsteuer ein Veto gegen unerwünschte Staatsaugaben beinhaltet, will Bush das gigantische Haushaltsdefizit in Grenzen halten, das sich in diesem Jahr auf rund 350 Milliarden US-Dollar belaufen wird. Zu Bushs Amtsantritt betrug es noch nicht einmal die Hälfte.

Bei den wenig überzeugenden Rechenkünsten des Präsidenten war es denn auch kein Wunder, daß die Demokraten Bushs Ankündigungen in der Luft zerrissen. Bushs Herausforderer Bill Clinton glaubt jedenfalls nicht daran, daß sich durch eine florierende Privatwirtschaft die Probleme des Landes von alleine lösen. Er knüpft an die Tradition seiner Partei an, daß der Staat helfend und lenkend eingreifen muß — unter anderem mit aus höheren Steuern für die Wohlhabenden finanzierten Programmen zur Erneuerung der Infrastruktur und zur besseren Ausbildung, um den Lebenstandard zu heben. Er will vor allem die Arbeitnehmer als das wichtigste Kapital der Nation besser auf den weltweit schärferen Wettbewerb vorbereiten. „Die Menschen zuerst: eine nationale Wirtschaftsstrategie“, lautet der Titel seines populistischen Programms. Die Hauptelemente sind neue Staatsausgaben von 220 Milliarden Dollar über vier Jahre für die Verbesserung der Infrastruktur und des Bildungswesens. Für Einkommen unter 100.000 Dollar sollen die Steuern gesenkt werden, Unternehmen ständige Steuererleichterungen für Forschungsvorhaben und gezielt für Investitionen erhalten. Bezahlen will er das mit Kürzungen bei den Rüstungsausgaben und 150 Milliarden Dollar an höheren Steuern für die Wohlhabenden.

Die weitere Sklerose der amerikanischen Wirtschaft wird auch Clintons Programm kaum aufhalten können. Das reale Wachstum liegt bei rund einem Prozent, die Arbeitslosigkeit klettert über sieben Prozent. Das erhoffte Exportwachstum blieb bislang aus; in Japan und der EG ist der Durst nach US-Produkten ohnehin nicht sonderlich groß. Die Flaggschiffe der US-Industrie, die drei Autokonzerne GM, Ford und Crysler stehen vor weiteren Massenentlassungen. Die Banken haben genug damit zu tun, ihre lädierten Bilanzen in Ordnung zu bringen.

Für Amerikas Wirtschaftsaussichten ist es nach Ansicht vieler konservativer wie liberaler Ökonomen ziemlich egal, ob Amtsinhaber George Bush oder sein demokratischer Herausforderer Bill Clinton die Wahl gewinnt. Beide könnten zumindest kurzfristig nicht viel daran ändern, so der Ökonom Paul Krugman vom Massachusetts Institute of Technology, daß die USA vor einer „Zeit geschmälerter Erwartungen“ mit zwar geringer Inflation und niedrigen Zinsen, aber auch schwachem Wirtschaftswachstum und stagnierenden Einkommen stehen. Erwin Single