Geschichtsstunde in der Hardenbergstraße

Das Verwaltungsgericht in Berlin verhandelte über eine Klage der PDS, die Treuhand zur Herausgabe des Karl-Liebknecht-Hauses, der Parteizentrale der KPD vor 1933, zu verurteilen/ Die Rechtslage ist eindeutig  ■ Aus Berlin Christian Semler

In der heutigen Berliner Stadtlandschaft gibt es nur noch Spurenelemente, an denen sich revolutionäre Geschichte ablesen läßt. Das Karl- Liebknecht-Haus an der Kleinen Alexanderstraße, zum Ensemble des Rosa-Luxemburg-Platzes, des früheren Bülow-Platzes zählend, verkörpert wie kaum ein anderes Gebäude die Tragik der deutschen Arbeiterbewegung und die Bitternis ihrer Niederlage. Hier residierte vom Ende der 20er Jahre bis zur faschistischen Machtübernahme jene Parteileitung unter der Führung Ernst Thälmanns, die die Bildung einer Arbeiter-Einheitsfront gegen den drohenden Faschismus ebenso verhinderte wie die damalige Führung der SPD.

Wer erinnert sich nicht an das Bild in den Geschichtsbüchern, das die über und über mit durchgehenden Transparenten geschmückte Parteizentrale zeigt, Zeugnis eines scheinbar unaufhaltsamen Siegeszuges des Kommunismus in Deutschland? Hier wurde vom Triumvirat Thälmann-Remmele-Neumann der „Hauptschlag“ gegen die Sozialdemokratie gerichtet, hier wurde die selbstmörderische Linie der „Revolutionären Gewerkschaftsopposition“ durchgezogen. Als nur wenige Wochen vor der faschistischen Machtübername die Nazis ungestraft vor dem Karl-Liebknecht-Haus aufmarschieren durften, von keinem Rotfrontkämpferbund gehindert, da war klar, daß die Kommunisten den Nazibanden an der Macht nichts entgegenzusetzen haben würden. Zu den ersten Maßnamen der Faschisten gehörte denn auch die Enteignung des Karl-Liebknecht-Hauses, „um einem kommunistischen Umsturzversuch vorzubeugen“.

Die SED hat zwar stets darauf beharrt, an der Machtergreifung des Faschismus keinerlei Mitschuld zu tragen, sie zog es aber vor, die Zentrale der zwangsvereinigten SED nicht in ihr traditionelles Hauptquartier zu verlegen, das ihr von der sowjetischen Besatzungsmacht SMAD rückübereignet worden war. Die Macht etablierte sich am Werderschen Markt, in der ehemaligen Staatsbank, an die revolutionäre Vergangenheit der Kleinen Alexanderstraße 28 erinnerten nur noch zwei Gedenktafeln im schwülstigen Antifa-Stil der Epoche. Erst nach der Wende beschloß die PDS als Rechtsnachfolgerin der SED, auch hier deren Erbe anzutreten. Über eine Treuhandkonstruktion noch zu Zeiten der DDR ging die Immobilie mit dem gesamten Parteienvermögen der PDS nach der Einheit auf die Treuhand über. Diese hatte laut Einigungsvertrag zu prüfen, ob das Objekt „materiell-rechtsstaatlich“ erworben war.

Am Eigentum der PDS kann überhaupt kein vernünftiger Zweifel bestehen. Die Gesellschaft „Vulkan“, die das Gebäude in den zwanziger Jahren erwarb, bestand aus zuverlässigen Kommunisten. Die Rückgabe des Gebäudes nach 1945 durch die SMAD ist rechtens, weil durch den Einigungsvertrag gedeckt. Aber auch bei anderer Rechtsauffassung wäre die Rückgabe ein Akt der Restitution für eine staatliche Unrechtshandlung und damit rechtlich wirksam. Schließlich ist die PDS Rechtsnachfolgerin der SED, so wie diese ihrerseits Nachfolgerin der KPD war.

All diese Fakten wurden zwar von der Treuhand zwischenzeitlich angezweifelt, schließlich aber stellte ein Tendenzbeschluß der Untersuchungskommission das Eigentum der PDS beziehungsweise ihrer Gesellschaft „Fundament“ fest. Trotzdem — auch nach zweijährigen Verhandlungen durfte die PDS über ihre Parteizentrale nicht verfügen. Diesen Zustand zu beendigen war der Sinn ihrer Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht, über die am 24.August verhandelt wurde.

Die Vertreter der Treuhand argumentierten, daß einzelne Bestandteile aus dem PDS-Vermögen vor Erstellung eines Gesamtsaldos nicht herausgelöst werden könnten. Was aber hinderte die Treuhand daran, innerhalb von zwei Jahren eine solche Rechnung zu erstellen? Und wie lange würde die Treuhand noch für ihr Zahlenwerk brauchen? Nicht nur der Prozeßvertreter der PDS, Eisenberg, fragte sich das, sondern auch Richter Schultz-Ewert.

Es spricht nicht gegen, sondern für die PDS, wenn sie sich durch die Wahl ihrer Zentrale der — verhängnisvollen — Tradition der KPD stellt. Wenn irgend jemand es ernst meint damit, daß diese Partei aus dem übermächtigen Schatten der SED heraustritt, muß man ihr innerhalb eines vertretbaren Zeitraums zu einer Grundausstattung verhelfen, darunter einem Parteisitz, in dem sie frei schalten und walten kann. Zwei Jahre warten sind genug. C.S.

Bei Redaktionsschluß war das Urteil noch nicht ergangen.