SPD streitet über UN-Kampfeinsätze

■ SPD-Kritiker einer deutschen Beteiligung an UN-Kampfeinsätzen fordern Sonderparteitag/ Regierung nennt UN-Reform unrealistisch/ FDP billigt Gesetzentwurf zur Grundgesetzänderung

Berlin (taz/AP/dpa) — Der Beschluß der SPD-Führung, einer Grundgesetzänderung für die deutsche Beteiligung an UN-Kampfeinsätzen zuzustimmen, hat heftige Kritik in der Partei sowie große Zustimmung innerhalb der Bundesregierung ausgelöst. Der FDP lieferte das gestrige Gerangel um die „Petersberger Beschlüsse“ der Sozialdemokraten zudem einen passenden Rahmen für die Präsentation ihres Entwurfes für die anstehende Grundgesetzänderung.

In der SPD konzentrierten sich die Kritiker auf die Forderung nach einem Sonderparteitag. Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder erklärte, der „Petersberger Kreis“ sei kein Beschlußgremium. In Sachen UN-Einsätze mit deutscher Beteiligung seien allein die Beschlüsse des Bremer Parteitages bindend, der sich seinerzeit nach einer emotionalisierten Auseinandersetzung lediglich zu einer deutschen Beteiligung an friedenserhaltenden Blauhelmeinsätzen hatte durchringen können. Neue Entscheidungen, so Schröder, könnten deshalb nur von einem Sonderparteitag abgesegnet werden. Auch in der Sache formulierte Schröder klaren Dissens: Eine Beteiligung deutscher Soldaten an UN-Kampfeinsätzen lehnte er strikt ab. Die Deutschen seien „nicht die Weltpolizei“; alles was über Blauhelmeinsätze hinausgehe, halte er nicht für konsensfähig. Es bringe auch „herzlich wenig“, so Schröder, sich über eine Reform der UNO Gedanken zu machen, wenn nur die SPD danach ruft. Dem müßten sich ja alle anderen UNO-Staaten anschließen. „Das halte ich für höchst unwahrscheinlich.“ An die Bundesregierung sagte Schröder, noch sei es „zu früh, zu jubilieren“.

Auch die Jungsozialisten warfen der Parteispitze vor, ihre Vorschläge vom Wochenende seien durch keinen Parteibeschluß gedeckt und liefen auf einen „Ausverkauf der bisherigen SPD-Politik“ hinaus.

Das sah Parteichef Björn Engholm, der am Wochenende überraschend die Kurskorrektur betrieben hatte, erwartungsgemäß anders. Über die Frage eines Sonderparteitags werde der SPD-Vorstand entscheiden müssen. Der nächste ordentliche SPD-Parteitag soll nach den bisherigen Planungen erst im September 1993 stattfinden. Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Hans-Ulrich Klose, sprach sich gegen einen Sonderparteitag aus. Seiner Ansicht nach reiche ein Beschluß des Parteirats aus. SPD- Geschäftsführer Blessing äußerte sich ebenfalls zurückhaltend. Zunächst müsse der Rat der Bezirks- und Landesvorsitzenden eingeholt werden. Ihm persönlich wäre ein Urabstimmung unter den Parteimitgliedern lieber als ein Sonderparteitag. Vor der entscheidenden Petersberger Sitzung hatte Blessing für den Fall einer Kurskorrektur einen Sonderparteitag für unabdingbar erklärt.

Innerhalb der Bundesregierung riß auch gestern die Reihe zustimmender Erklärungen zum Kurswechsel der SPD-Spitze nicht ab. Die Petersberger Beschlüsse seien ein „wichtiger Schritt zurück zu einer möglichst einvernehmlichen Haltung in einer für die deutsche Außenpolitik außerordentlich wichtigen Frage“, erklärte Außenminister Klaus Kinkel. Es sollte nun möglichst rasch zu Gesprächen darüber kommen, wie eine gemeinsame Lösung in der notwendigen Grundgesetzänderung erzielt werden könne.

Auch Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) drückte aufs Tempo und nahm SPD-Chef Engholm beim Wort. Der hatte am Wochenende zwar Voraussetzungen für eine Zustimmung der SPD zur Grundgesetzänderung formuliert, sodann aber eingeräumt, möglicherweise müsse man auch schon vor der wünschenswerten UN-Reform einlenken. Dem konnte Bohl gestern nur zustimmen: Die von der SPD genannte Voraussetzung einer Reform der Vereinten Nationen sei zumindest kurzfristig unrealistisch. Mit einer Grundgesetzänderung könne nicht bis zu einer Umstrukturierung der Weltorganisation gewartet werden. Damit dürfte Bohl die Marschrichtung der Bundesregierung gegenüber der SPD getroffen haben. Nachdem das Petersberger Gremium in der prinzipiellen Frage einer deutschen Beteiligung nachgegeben und die genannten Vorbedingungen zudem relativiert hat, scheint ihr Mitgestaltungsanspruch auf die konkrete Ausgestaltung nahezu verspielt.

Gestalten darf jetzt der kleinere Koalitionspartner FDP. Das Präsidium der Partei billigte gestern einstimmig einen Entwurf zur Grundgesetzänderung. Danach können Streitkräfte des Bundes mit Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages bei „friedenserhaltenden“ Maßnahmen eingesetzt werden. Bei „friedensherstellenden“ Kampfeinsätzen soll ein Bundesgesetz die näheren Einzelheiten regeln. Damit drückt sich der Entwurf allerdings um die Frage, wie die parlamentarische Entscheidung für die Teilnahme an Kampfeinsätzen aussehen soll. Dementiert wurden Meldungen, wonach innerhalb der FDP darüber nachgedacht werde, ob die Bundeswehrbeteiligung an UN- Kampfeinsätzen in jedem konkreten Fall einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages bedürften. Damit würde sich die Regierung in die Hände der Opposition begeben, erklärte FDP-Chef Lambsdorff. Lambsdorff betonte, das Gewaltmonopol müsse in jedem Fall bei der UNO liegen. Der Sicherheitsrat sei das Gremium, das über Gewaltanwendung im Ernstfall zu entscheiden habe. Lambsdorff lehnte die SPD- Forderung ab, eine deutsche Beteiligung an UN-Kampfeinsätzen von einer Reform der Weltorganisation abhängig zu machen. Dies würde die Lösung des Problems auf eine „sehr lange Bank“ schieben. Die Ankündigung der Sozialdemokraten, einem Einsatz von Bundeswehrsoldaten unter bestimmten Bedingungen bereits vor einer UN-Reform zuzustimmen, könne aber — so der Graf süffisant — die Konsensfindung erleichtern. eis