"Es hat sich nicht viel verändert"

■ Die Stresemannstraße ein Jahr nach Nicolas Tod / Die Laster rollen weiter / Anwohner: Kein Grund zum Ausruhen

/ Die Laster rollen weiter / Anwohner: Kein Grund zum Ausruhen

Stoßstange schiebt Stoßstange, genervte Autofahrer hupen, überholen rechts auf der Busfahrspur, treten trotz der gelben Ampel statt auf die Bremse aufs Gaspedal: Mittagszeit auf der Stresemannstraße — ein ganz normaler Tag.

Vor einem Jahr, am 27. September 1991, einem ganz gewöhnlichen Dienstag, versuchte ein Lkw-Fahrer die Kreuzung an der Juliusstraße trotz der roten Ampel zu überqueren. Der Laster erfaßte ein neunjähriges Mädchen — Nicola S. starb noch an der Unfallstelle. Danach gab es wochenlang keine normalen Tage mehr auf der Stresemannstraße. Als wäre mit dem Tod des Kindes ein quälender Knoten geplatzt, versammelten sich täglich um 16 Uhr die AnwohnerInnen aus dem Viertel auf der Unglückskreuzung. Innerhalb von Stunden wuchs aus der Trauer um das tote Kind der Vorsatz, die Straße nur freizugeben, wenn verkehrsberuhigende Maßnahmen das Leben dort erträglicher machen. Nach zweiwöchigem Ausnahmezustand gab der Senat nach — er kam einigen Forderungen der BlockiererInnen nach.

Reste von Kinderzeichnungen auf dem Asphalt, Tempo-30-Schilder und die Busspur erinnern heute noch an den bewegten Herbst. „Vor dem Unglück“, so erinnert sich Anwohnerin Christel Röhl, „war die Stresemannstraße wie ein unüberwindbarer Fluß, der die Menschen voneinander fernhielt.“ Durch die Blockaden wurde die Piste zum „Treffpunkt“, zum „Paradies für Kinder“, von dem die Anwohnerin Gisa Mahnke noch heute schwärmt. Dort lernte man sich kennen — „heute kann man häufig Passanten im Gespräch beobachten“, schildert Christel Röhl.

Aber auch jetzt ist dort eine Verständigung nur durch Schreien möglich. „Es hat sich nicht besonders viel geändert“, winken junge wie alte Passanten ab. Zwar fahren die Autos jetzt langsamer und rücken den Fußgängern durch die Fahrbahnverengung nicht mehr so bedrohlich nahe, doch „es sind immer noch viel zu viele“. Auch darin sind sich alle einig.

Die Erfolge des vergangenen Jahres sind kein Grund zum Ausruhen, das meint auch die Stresemann-Initiative. Noch immer treffen sich rund 20 AnwohnerInnen regelmäßig, um über die Verkehrsprobleme vor der Tür zu beraten. Erfreulich ist für sie zwar, daß sich seit der Verkehrsberuhigung auf den 600 Metern zwischen Lerchenstraße und Alsenstraße keine Unfälle mehr ereignet haben, und daß sich die Schadstoffwerte in der bis dahin „giftigsten Straße Europas“ deutlich reduziert haben, doch gegen die unendliche Kolonne von Gefahrguttransportern ist trotz angekündigter Maßnahmen nichts geschehen. Ebensowenig gegen die unerträgliche Lämbelastung durch den Lkw-Verkehr — die Umleitung des Schwerlastverkehrs aus der Stadt blieb ein leeres Versprechen. Auf positive Veränderungen unter einem Verkehrssenator Eugen Wagner mag man in der Initiative erst gar nicht hoffen. Sannah Koch

Am 27.9., 16 Uhr, Mahnwache an der Stresemannstraße/Ecke Juliusstraße (Blumen mitbringen). Bis zum 9.9. Fotoausstellung, Johanniskirche, Max- Brauer-Allee. 9.9., 19.30 Uhr, Johanniskirche: Podiumsdiskussion mit Politikern. 10.9. ab 16 Uhr, Straßenfest, Stresemannstraße/Juliusstraße