Bremer Marktplatz als Druckraum

■ Junkies und Anwohner mit Protestaktion in Bremens „Guter Stube“

Auf einem Tapeziertisch vor der Bürgerschaft liegen frisches Obst, Ascorbinwürfel und Hygiene-Sets. Daneben haben Frauen eine Plastikplane ausgebreitet. Von einem Schubkarren sind Müll und alte Fixer-Spritzen vor dem Parlament abgeladen worden. Sieben Drogenabhängige sitzen im Kreis auf der Plastikplane. Thorsten hat sich schon mal eine neue Spritze hinters Ohr gesteckt wie andere Leute ihre nächste Zigarette. Alle sind geschäftig: Bremens Marktplatz wurde gestern um 15.00 Uhr als öffentlicher Druckraum für Drogenabhängige eingerichtet.

Die Junkies sind nicht allein gekommen: AnwohnerInnen des Ostertors bilden eine Sichtkette, gleichzeitig wollen sie mit den BremerInnen ins Gespräch kommen. Thema: Die Drogenpolitik des Senates. „Wir können nicht mehr warten, es geht nicht mehr“, sagt Dieter Büsing. Das Drogenproblem im Viertel ist völlig aus dem Ruder gelaufen.

René ist etwas nervös. „Hoffentlich bleiben die Bullen ruhig.“ Zivilbeamte haben sich eingefunden, sie sind vom 3. Revier, man kennt sich. Mit einem Feuerzeug wird Ascorbin in Wasser aufgekocht, das Heroin zerbröselt, „nur ein halbes Gramm, für zwei Leute“, sagt Susanne (32).

René hat sich mit seinem Hosengürtel bereits den Arm abgebunden. Vom Löffel wird die braune Flüssigkeit auf die Spritze gezogen. René ist soweit: Die Nadel schiebt er sich langsam in die Hand zwischen Daumen und Zeigefinger. Bei Susanne ist es nicht so leicht. Thorsten legt ihre langen Haare zur Seite, der Hals muß frei sein, drückt dann die Nadel senkrecht neben das Schlüsselbein und pumpt die braune Flüssigkeit hinein. „An meinen Armen ist nichts mehr“, sagt Susanne, schiebt ihre Ärmel hoch: Wundmale, Narben, schlecht verheilt Geschwüre. „Erst hab' ich's in die Arme gespritzt, dann in die Beine, dann in die Leiste, und jetzt geht's nur noch durch den Hals.“ Hinter der Glasfront der Bürgerschaft haben sich einige Abgeordnete versammelt und schauen zu.

„Es wird immer schlimmer“, sagt Patricia. Sie ist seit zweieinhalb Jahren substituiert. „Die Leute verwahrlosen auf den Straßen, viele haben Läuse, Krätze.“ Wer substituiert wird und obdachlos ist, hat keine Chance. „Ich habe seit eineinhalb Jahren eine Bude“, sagt Patricia, „ich brauch nicht mehr auf's Eck.“ Nur, was machen die anderen, die Obdachlosen?

Wohnraum ist auch das, was die Anwohner für die Junkies wollen. Sie haben begriffen, daß sie ihre Wohnsituation im Viertel nur lösen können, indem sie die Interessen der Abhängigen vertreten. „Wir arbeiten zusammen, weil wir die gleichen Interessen haben“, sagt Dieter Büsing.

Die Diskussionen spitzen sich zu. Viele Bürger sind stehengeblieben, unterhalten sich mit den Abhängigen. Auch die Beamten vom 3. Revier diskutieren. Wohnraum zu fordern, sagt einer, daß fände er in Ordnung, aber Druckräume? „Ihr habt ja einen Nagel im Kopf.“ Sein Kollege ist ebenfalls skeptisch: „Ich habe Angst, daß in drei, vier Jahren ein Herr Schönhuber Eure Probleme löst, und dann möchte ich kein Polizist mehr sein.“ mad