Hauptstadt-Vertrag im Roten Rathaus

■ Bundesregierung und Land Berlin unterzeichneten Abkommen zum Umzug der Bundesbehörden/ Kritik der Bezirke/ Grüne: Ergebnis ist Verhandlungsschlappe

Berlin. Nur gut 100 Schaulustige warteten vor dem Roten Rathaus. Dafür drängelten sich fast ebenso viele Fotografen und Kamerateams im Wappensaal des Rathauses, als Bundeskanzler Helmut Kohl und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen gestern den Hauptstadt-Vertrag unterzeichneten. Ein weiteres Abkommen unterschrieben Kohl und der Brandenburger Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD).

Der Kanzler, flankiert von einer Korona aus Ministern, darunter Bauministerin Schwaetzer und Innenminister Seiters und Berliner Politgrößen, wie CDU- Chef Landowsky und die Senatoren Limbach, Hassemer, Heckelmann und Bergmann, wertete den Hauptstadt-Vertrag als »bedeutsamen Schritt auf dem Wege zur Vollendung der inneren Einheit«.

Er dokumentiere die Entschlossenheit des Bundes, zügig die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Berlin seine Rolle als Regierungs- und Parlamentssitz voll wahrnehmen könne, sagte Kohl. Die Entscheidung für Berlin sei aber kein Votum für die Abkehr vom Föderalismus.

Diepgen, der sich gegen ein besonderes Umzugsgesetz aussprach, meinte, Berlin brauche schnell den ersten Spatenstich. Die mit einer modernen Hauptstadt verbundenen Aufgaben könne man nur mit, nicht gegen die Bürgerinnen und Bürger lösen. Stolpe, der vor Berliner Größenwahn warnte, sagte, in Berlin könne es am ehesten zu einer inneren Vollendung der Einheit kommen. Brandenburg sei wegen der Wohnungsversorgung der Bundesbediensteten und dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur betroffen. Während der Vertrag unterschrieben wurde, protestierten Vertreter von Initiativen — darunter der Moabiter Ratschlag und die Bürgerinitiative Spandauer Vorstadt, von Kohl unbeachtet, vor dem Rathaus.

Die Oppositionsparteien Bündnis 90/Grüne und PDS kritisierten das Vertragswerk. Dessen Inhalt sei eine »Verhandlungsschlappe«, so die grüne Abgeordnete Michaele Schreyer. Der Geist des undemokratischen Zentralismus feiere mit, denn der Bund dürfe nun in allen Planungsfragen mitreden, die »hauptstadtbezogene Auswirkungen« haben. Im Vertrag heißt es, daß Berlin und der Bund zusammenarbeiten, um die Bundesbehörden und dazugehörige Institutionen in Berlin angemessen unterzubringen. Den Erfordernissen der Verfassungsorgane des Bundes müsse besonders Rechnung getragen werden, dementsprechend sei das Baugesetzbuch anzupassen. Zudem werden die betreffenden Bezirke per Hauptstadt-Vertrag weitgehend entmachtet.

Der Verein Stadtzentrum Berlin e.V. forderte gestern, Betroffenenvertreter in die Entscheidungsgremien und in die Preisgerichte der Wettbewerbe mit einzubeziehen. Bei der Abwägung der Interessen dürften die Berliner Bürger nicht zugunsten der Bundestagsabgeordneten nachrangig berücksichtigt werden. Zuvor hatten schon Vertreter der betroffenen Bezirke, vornehmlich Tiergarten, gegen den Hauptstadt-Vertrag protestiert.

Die Kritik der Bezirke bezog sich vor allem darauf, daß der Verkehrssenator innerhalb eines sehr großen Gebietes alle Kompetenzen für Bau und Planung aller Straßen bekommt. Senatsbaudirektor Hans Stimmann (SPD) sagte dazu in einem Radiointerview, letzteres könne das Abgeordnetenhaus noch ändern. Eva Schweitzer