VILLAGE VOICE: Süßes, kleines, fettes Deutschland
■ Antwort auf Hoyerswerda und Rostock: »Inchtomanie« von den Inchtabokatables
Es gibt Platten, bei denen wäre es besser, wenn sie schnell unaktuell würden. »Inchtomanie«, das Debütalbum der Inchtabokatables gehört in diese Kategorie. Nicht aber weil es fade, langweilig oder einfach überflüssig wäre, nein: weil es bedrückend aktuell ist.
Als die Inchtabokatables im Herbst letzten Jahres im Studio waren, gab es die rassistischen Krawalle in Hoyerswerda. Als Reflexion darauf entstand der Titel »Hoywoi«, eine krachende Abrechnung mit Skins und applaudierendem Fußvolk. »Süßes, kleines, fettes« flüstert es aus den Boxen, und dann plötzlich ein Aufschrei: »Deutschlaaand«.
Ein bei Sonic Youth ausgeliehenes Gitarrenriff (die auf ihrer neuen Platte »Dirty« ebenfalls die Politik wiederentdecken: »Youth against Fascism« heißt ein Titel), das bei den Bokatables allerdings perfekt von der Geige imitiert wird, schepperndes Schlagzeug und ein markerschütternder Schrei ganz zu Anfang machen das Stück zur Hymne all derer, die den Wahnsinn beenden möchten. Die gleichzeitig aber ohnmächtig zuschauen müssen, wie Polizisten vor Skins weglaufen, um den nächsten »Autonomen« festzunehmen. Und der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern sagt am Montag zu den Ausschreitungen in Rostock im Frühstücks-TV: »Es ist schlimm, wenn deutsche Polizisten auf Landsleute losgehen müssen, um Ausländer zu schützen.«
Die Inchtabokatables scheinen im folgenden Titel: »Das Beil«, dann auch gleich die Konsequenzen um sich greifender Mordgelüste zu ahnen: »Schon liegt die Stadt im Morgenrot — auf einem Drellstein sitzt der Tod und grinst und geigt das Haupt geneigt. Von Ferne her, da klingt so dumpf, da klappt so schwer — das Beil der Guillotine. Was für ein herrlicher Chirurg, der manchen Tropf, befreit vom Kopf.« Dazu fiedelt melancholisch die Geige, der Trommler schlägt den Takt. Der Text von Victor von Uthmann scheint gleichzeitig nach Rostock und ins Mittelalterspektakel am Potsdamer Platz zu führen.
Die Inchtabokatables — der unaussprechliche Name ist übrigens keine Erfindung nach der Nacht, sondern die australische Bezeichnung für Schnorrer und Leute, die gern Stories am Tresen erzählen und dann das Bezahlen vergessen —, die Inchtabokatables überwinden die für deutsche Bands immer gefährliche Gratwanderung über Stil- und Sprachklippen durch konsequente Inkonsequenz. »I want to fuck you again«, meint der Sänger nach dem Mittelhochdeutschexkurs im »Nasty Song«. Und weiter geht's mit nasty, aber ach so wahren Gedanken: »I love you, I hate you«.
Auch die ostdeutschen Konsumwünsche werden zum von irischem Folk untermalten Songtext. Dazu immer wieder der eindringlich monotone Schlagzeugbeat und die alles bestimmenden Geigen- und Celloklänge, die einen beim mehrmaligen Hören zunehmend in den Bann ziehen. Folklorefirlefanz bietet die Band gleichwohl nicht.
Die Inchtabokatables benutzen ausschließlich viersaitige Saiteninstrumente, worauf sie nach eigener Aussage Wert legen. Ihre Musik enthält diverse Folkelemente, die fünf Ostdeutschen wollen sich aber keineswegs als Folkband klassifiziert sehen — was auch Blödsinn wäre. Aus Angst, Rockfans abzustoßen, verzichtete man auf dem Plattencover sogar auf die korrekte Angabe der Instrumente: das Cello wurde absichtlich vergessen, die Geige erscheint nur abgekürzt als »v«.
Auch ihre Herkunft aus Potsdam, Schwerin, Wismar, Leipzig und Ost-Berlin verschweigen die Inchtabokatables gern, wohl um nicht in den Suppentopf »Ost-Band« geworfen zu werden. Dieses Versteckspiel setzt die Band fort in der beharrlichen Weigerung, Journalisten Infomaterial zur Platte zur Verfügung zu stellen. Man solle sich die Musik anhören, heißt es lapidar. Wer ein so eigenständiges Debütalbum veröffentlicht, wessen Musik Schubladen sprengt, der kann es sich leisten, die Medien an der eigenen Nase herumzuführen. Die Konzerte der Inchtabokatables sind jedenfalls immer häufiger ausverkauft. Andreas Becker
The Inchtabokatables: Inchtomanie (Costbar/ Autogram Records, Vertrieb: EfA)
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