GASTKOMMENTAR
: Staatlich geduldeter Pogrom

■ Die rechte Saat der Gewalt hat in Rostock über den Rechtsstaat gesiegt

Wer Sprengsätze in Fenster wirft, hinter denen sich Menschen aufhalten, nimmt den Tod dieser Menschen billigend in Kauf. Er ist ein potentieller Mörder. Wer solchen potentiellen Mördern Beifall klatscht oder sie sogar vor dem Polizeizugriff schützt, macht sich der Beihilfe schuldig. Wer als Polizist oder als Innenminister zusieht, ohne die Bedrohten zu schützen, macht sich möglicherweise der fahrlässigen Unterlassung schuldig. Wer sich über andere Menschen, über deren Kinder, über deren vom Elend gezeichnete Lebensformen aufregt, mag das tun, wer dann aber Verständnis aufbringt, daß dieses Ärgers wegen Terror ausgeübt wird, beschädigt die rechtsstaatlichen Maßstäbe dieser Demokratie („Verständnis“ darf es allenfalls für die Rachegefühle der Anverwandten von Mordopfern geben: Für deren mögliche Rachetaten gibt es in unserer Rechtsordnung und in unseren moralischen Kategorien keinen Millimeter Raum.) Um wieviel weniger darf es „Verständnis“ geben für die Terrorabsichten gegen Kinder, Frauen und Männer, die man loswerden will, unter welchen Umständen auch immer diese Kinder, Frauen und Männer dorthin geraten sind, wo man sie wieder loswerden will.

Die „Verständnis“-Reaktion auf den Pogrom ist ein fast so gefährliches Gemisch wie die Sprengsätze selbst, die in die Fenster geworfen wurden.

Zuerst muß über den Terror und dessen kriminelle Energie gesprochen werden. Verständnis für solchen Terror darf es keine Sekunde geben, nicht bei Politikern, nicht bei Kommentatoren. In Rostock hat Vertreibungsterror stattgefunden. Und er hat grausigen Erfolg gehabt: Die betroffenen Menschen sind fortgeschafft worden, alle Welt spricht von den „unhaltbaren“ Zuständen, und wieder wird ein großes Stück von Gewaltanwendung und Terrorbereitschaft durch „gewisses Verständnis“ sanktioniert.

Menschenvertreiben, und die Polizei sieht zu. Das ist staatlich geduldeter Pogrom. Feuerwehrleute dem Steine- und Sprengstoffhagel (Molotowcocktails sind Sprengsätze!) schutzlos aussetzen, das ist Beihilfe zur Gewalt gegen Kollegen.

In Rostock ist nicht nur Versagen der Polizei zu konstatieren, sondern der völlige Zusammenbruch staatlicher Autorität gegenüber bewaffneten Menschen, die Menschen verjagen wollen, gegenüber Deutschen, die Nichtdeutsche vertreiben. Dort in Rostock ist in wenigen Stunden unsere moralische Berechtigung, den Vertreibungsterror der Serben gegen die moslemischen Bosnier zu geißeln, beschädigt worden. Die rechte Saat der Gewalt hat über den Rechtsstaat der Demokratie gesiegt.

Der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland war am Montag nach Rostock geflogen. Seine Aufgabe, den Frieden zu wahren und den Artikel 1 des Grundgesetzes, der für alle Menschen gilt, zu sichern, an dieser Aufgabe ist er vorgestern kläglich gescheitert. Wo Menschen durch Terror vertrieben werden sollten und in Lebensgefahr waren, hat er zum hundersten Mal mehr über das Asylrecht gesprochen als über den Terror: Der Sicherheitsminister dieser Republik hat zu keinem Zeitpunkt den Millionen Ausländern bei uns die Angst vor Terror und Gewalt nehmen können. Rostock muß zum Fanal werden, die Maßstäbe unserer rechtsstaatlichen Demokratie wieder zurechtzurücken. Freimut Duve

SPD-Mitglied des Bundestages