Feuer und Flamme gegen Asylrecht

■ Bei der handelsüblichen Betroffenheit beließen es Politiker in Bonn und Schwerin nach der Brandstiftung in Rostock diesmal nicht. Sie nutzten die beispiellose Nacht der Gewalt gegen Ausländer zur...

Feuer und Flamme gegen Asylrecht Bei der handelsüblichen Betroffenheit beließen es Politiker in Bonn und Schwerin nach der Brandstiftung in Rostock diesmal nicht. Sie nutzten die beispiellose Nacht der Gewalt gegen Ausländer zur Offensive gegen das Grundrecht auf Asyl. Verantwortung für das völlige Versagen der Polizei will niemand tragen. „Ich wüßte nicht, was ich mir vorzuwerfen hätte“, sagte Innenminister Kupfer.

Man darf nicht auf Dauer treiben lassen, was auf den erbitterten Widerstand der Menschen stößt“, kommentierte gestern Bayerns Innenminister Edmund Stoiber die neuerlichen Gewaltausbrüche gegen Asylbewerber in Rostock. Damit brachte Stoiber unverhohlen auf den Punkt, was sich andere bundesdeutsche Spitzenpolitiker gestern erst nach ritualisierten Abscheubekundungen trauten: die Instrumentalisierung der Rostocker Gewalt für eine restriktive Asyl- und Ausländerpolitik. Von Stoiber über CSU-Landesgruppenchef Bötsch bis hin zu Innenminister Rudolf Seiters und Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe kamen alle zum selben Ergebnis: dringender Handlungsbedarf bei der Einschränkung des Grundrechts auf Asyl.

Die Angriffe auf das Rostocker Asylbewerberheim waren am Dienstag abend erneut ausgebrochen. Im Laufe der Nacht schwoll die Menge auf über 1.000 Menschen an. Gegen das Heim, in dem sich noch 115 Vietnamesen sowie ein Kamerateam aufhielten, wurden Brandflaschen geworfen. Über eineinhalb Stunden lang hatte sich die Polizei vollkommen zurückgezogen und setzte den Randalierern nichts entgegen. Die Feuerwehr begann die Brände erst mit einstündiger Verzögerung zu löschen. Wie schon bei den Angriffen am Wochenende schauten Anwohner den Auseinandersetzungen zu und applaudierten.

In Bonn begann umgehend der Parteienstreit über die politische Verantwortung an den rechtsradikalen Ausschreitungen. Die SPD machte Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) dafür mitverantwortlich, daß das Asylbewerberheim in Rostock nicht bereits vor Monaten geschlossen worden ist. Daraufhin erklärte Seiters, dies sei der „dreiste und untaugliche Versuch“, davon abzulenken, daß die SPD die dringend notwendige Grundgesetzergänzung im Asylrecht blockiert habe. Der Innenausschuß des Bundestages wird sich voraussichtlich am kommenden Montag in einer Sondersitzung mit den Vorgängen in Rostock befassen. Die Bonner Ausländerbeauftragte Cornelia Schmalz-Jacobsen forderte eine Sondersitzung des gesamten Parlaments. Im Namen der drei Koalitionspartner verurteilte CDU/CSU- Fraktionschef Wolfgang Schäuble den Rostocker Gewaltausbruch als „eine Schande für unser Land“. Auch wenn in vielen Unterbringungseinrichtungen die Zustände offensichtlich unhaltbar seien, dürfe „das für niemand Anlaß zu Gewalttaten sein, und es darf auch für niemand Anlaß sein, Gewalttaten anderer schweigend oder zustimmend zu billigen“. Die Gewalttäter müßten unverzüglich ins Gefängnis kommen. Trotz der Krawalle müßten aber weiterhin Asylbewerber in den neuen Ländern untergebracht werden.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Gerd Wartenberg, erklärte, bereits im Mai sei im Innenausschuß darauf hingewiesen worden, daß die Aufnahmestelle Rostock nicht bestehen bleiben könne, weil die Zustände unhaltbar seien. Daraufhin hätte die Aufnahmestelle unverzüglich verlagert werden müssen. Seiters habe dies aber über Monate hinweg versäumt.

Der stellvertretende CDU-Fraktionschef Heiner Geißler warnte vor der konkreten Gefahr einer politisch organisierten Kriminalität rechtsradikaler Kräfte und forderte eine angemessene Bestrafung der Täter. Wer Brandsätze schleudere und Häuser anzünde, mache sich des versuchten Mordes schuldig und müsse wie ein Verbrecher behandelt werden. Geißler bewertete die Änderung der SPD-Position zur Asylfrage als Chance für eine gemeinsame Politik. Dadurch sei es möglich, dem Rechtsradikalismus den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland appellierte an „alle demokratischen Kräfte“, gemeinsam der rechtsradikalen Gewalt Einhalt zu gebieten. „Niemand darf mehr schweigen, wenn unschuldige Menschen wegen der Bedrohung durch rechtsradikale Gewalt um ihr Leben bangen müssen.“ „Besonders widerwärtig“ sei die Unterstützung der Schlägertrupps durch weit über tausend Zuschauer. Der DGB warnte davor, durch fremdenfeindliche Parolen Gewalt gegen Ausländer zu schüren. „Der Rechtsstaat darf vor dieser Gewalt nicht zurückweichen, sondern muß mit Entschiedenheit vorgehen.“ Der Bundesvorstand der Grünen warf den Koalitionsparteien und der SPD vor, mit ihrem „unverantwortlichen Gerede“ über eine Änderung des Asylgrundrechts „Hoyerswerda und Rostock möglich gemacht“ zu haben.

Der Vorsitzende des Notärzte- Komitees „Cap Anamur“, Neudeck, forderte ebenso wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Zierer einen sofortigen Stopp für die Unterbringung von Asylbewerbern in den neuen Bundesländern. „Es liegt eine Mordlust gegen Ausländer über Rostock“, erklärte Neudeck. Mathias Geis