Kreuzzug gegen Antihelden

■ Am Dienstag begann in New York der Sorgerechtsprozeß zwischen Woody Allen und Mia Farrow/ Nach einem Treffen vereinbarten die beiden, sich nicht mehr öffentlich zu äußern/ Der Skandal wird in den USA zum Wahlkampfthema

„Nein!“, rief Richterin Phyliss Gangel Jacob, sie wolle die Fotos gar nicht erst sehen. Mia Farrows Anwältin hatte sie als Beweismittel einbringen wollen. Farrows Adoptivtochter Soon-Yi (21), Allens neue Liebe, ist nackt darauf zu sehen. Allen selbst hatte die Bilder gemacht. Sie seien „wirklich pornografisch“, so die Anwältin, aber die Richterin verkündete einen eher nüchternen Standpunkt: Hier gehe es um eine Einigung über Allens Besuchsrechte bei Dylan (7) und Moses (14) — Farrows und Allens gemeinsamen Adoptivkindern — und ihrem leiblichen Sohn Satchel (4). Bis zum 1.September sollen sie sich über diese Frage einigen, nächster Prozeßtag ist der 4.September.

Da weder Farrow noch Allen zum Gerichtstermin am Dienstag erschienen waren, lud die Richterin sie für den Abend desselben Tages zum ersten gemeinsamen Treffen seit Beginn des großen Beziehungskriegs in ein New Yorker Gerichtsgebäude. Wenig später verließen sie es ohne jeden Kommentar und fuhren in verschiedenen Fahrzeugen davon. Allens Sprecherin erklärte, beide Seiten hätten bei dem Treffen verabredet, keine öffentlichen Stellungnahmen mehr abzugeben. Allen und Soon-Yi hatten sich zuletzt in Interviews in Newsweek und Time geäußert.

Warum Woody Allen?

Es ist allerdings zweifelhaft, ob sich die Öffentlichkeit jetzt noch fernhalten läßt. Längst fragt sich eine ohnehin geschwächte Gemeinde von Linken, Liberalen, Kinogängern, Kritikern und Psychotherapeuten: Warum, in Gottes oder Zeligs Namen, ausgerechnet Woody? Warum ausgerechnet Mia und Woody — ohne Trauschein, mit getrennten Wohnungen und scheinbar völlig gegensätzlichen Lebensauffassungen. Lebender Beweis, daß es auch anders geht. Warum eine solche Schmierenkomödie, bei der man ausnahmsweise nicht der Presse die Schuld zuschieben kann, weil die gar nicht erst in der Privatsphäre der Kontrahenten herumschnüffeln mußte?

Andererseits — was soll's? Da ist eben eine von unzähligen Prominentenbeziehungen in die Brüche gegangen, wenn auch unter überdurchschnittlich häßlichen Begleitumständen. Er verliebt sich, typisch Mann und Midlife-crisis, 56jährig in ihre Adoptivtochter, der Streit um das Sorgerecht für die Kinder artet in schwere gegenseitige Vorwürfe aus: Sie sei eine chaotische, gewalttätige Mutter, behauptet er. Er habe eines der Kinder sexuell mißbraucht, behauptet sie. (Film-) Business as usual? Aber dann wäre der Krieg zwischen Allen und Farrow nicht, wie die Washington Post schrieb, eine Medienshow, „die man nicht mehr gesehen hat, seit Elizabeth Taylor sechzig Pfund zugenommen oder abgenommen oder geheiratet hat oder geschieden wurde“.

Allerdings hinkt der Vergleich. Woody Allen ist alles, was Hollywood nicht ist: Intellektuell, subtil, ironisch, unkonventionell, skurril, unmodisch — und sehr wohl moralisch, weswegen nun ganz Manhattan unversöhnlich in zwei Lager gespalten ist: Die einen stellen sich schützend vor ihn, die anderen zeigen sich bitter enttäuscht und beziehen Position für Mia Farrow.

Und natürlich ist diese Inkarnation des jüdischen Intellektuellen von der Ostküste — trotz seines demonstrativen Desinteresses an der Tagespolitik — eine politische Figur. Deswegen tauchen ungefragt und ungebeten auch die neuen Kreuzritter zur Rettung der amerikanischen Familie, George Bush und Dan Quayle, in dieser Geschichte auf.

Kleine Kriegschronik

Die Geschichte beginnt, aus Sicht der Medien, am 13.August, als Woody Allen vor einem New Yorker Gericht das Sorgerecht für Satchel und die Adoptivkinder Dylan und Moses beantragt. Allen gibt zu Protokoll, er habe über acht Monate erfolglos versucht, mit Mia Farrow eine Übereinkunft über ein gemeinsames Sorgerecht zu erzielen. In Farrows Haushalt leben außerdem acht weitere Kinder, darunter zwei leibliche von ihrem Ex-Ehemann André Previn, sechs sind adoptiert. Um seinen Antrag zu begründen, muß Allen nun nachweisen, daß seine ehemalige Lebensgefährtin nicht in der Lage sei, ihre elterlichen Pflichten zu erfüllen.

Umgehend äußert sich Mia Farrows Mutter, die Schauspielerin Maureen O'Sullivan über eine angebliche Liebesbeziehung zwischen Farrows 21jähriger Adoptivtochter Soon-Yi und dem Regisseur. Allen bestätigt dies am 17.August in einem Statement gegenüber der Presse. Mia Farrow hat, so wird später bekannt, von dieser Liaison nicht durch Allen erfahren, sondern durch die besagten Nacktbilder ihrer Adoptivtochter, die Allen aufgenommen hatte. Ebenfalls am 17.August gibt die Polizei des Bundesstaates Connecticut, wo Mia Farrow ein Haus besitzt, bekannt, sie ermittle in einem Fall von sexuellem Mißbrauch, der die siebenjährige Dylan und Woody Allen betreffe. Der tritt einen Tag später vor die Presse, bestreitet die Vorwürfe empört.

Mia Farrow hat sich inzwischen zur Verstärkung ihres Anwaltteams den Starverteidiger Alan Dershowitz geholt, der in den USA inzwischen die Reputation eines Rolf Bossi hat. Dershowitz kontert noch am gleichen Tag: Allen habe die Sorgerechtsklage nur erhoben, um vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs abzulenken. Gleichzeitig weist er Allens Vorwurf einer versuchten Erpressung zurück. Farrows Anwälte, so Allen, hatten ihrem ehemaligen Lebensgefährten angeboten, den Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs gegen Zahlung von sieben Millionen Dollar fallen zu lassen.

Die Tat soll am 4.August auf dem Dachboden von Farrows Haus in Connecticut stattgefunden haben. Mia Farrow hat die Aussage der Siebenjährigen noch am gleichen Tag auf Video aufgenommen und gibt das Tape später einem New Yorker Fernsehsender, der es aber nicht ausstrahlt. Während Mia Farrow sich bislang nicht öffentlich geäußert hat (wohl aber ihre Kinder, Verwandten, Ex-Ehemänner und Freunde), gibt Allen in Time und Newsweek Interviews, wo er noch einmal die Anschuldigung des sexuellen Mißbrauchs zurückweist — mit einer filmreifen Begründung: Er leide bekanntermaßen unter Klaustrophobie und deswegen „kriegen mich keine zehn Pferde auf einen Dachboden“. Außerdem sei es undenkbar für ihn, sein Kind sexuell zu mißbrauchen. Erst nachdem Mia Farrow diesen Vorwurf erhoben habe, habe er beschlossen, vor Gericht das Sorgerecht zu beantragen. „Ich wollte meine Kinder (gemeint sind Satchel, Dylan und Moses) nicht mehr in dieser Atmosphäre wissen. Das ist einfach zu krank. Meine Reputation ist mir völlig egal.“

Vorgestern der vorläufige Höhepunkt: Die Verhandlung um das Sorgerecht wird vor einem Gericht in Manhattan eröffnet. Die Richterin, ganz offensichtlich mit gesundem Menschenverstand ausgestattet, lehnt einen Antrag des Fensehsenders „Court-TV“ ab, die Verhandlung direkt zu übertragen — eine Maßnahme, über die sich ausnahmsweise auch beide Streitparteien einig waren. Darüber hinaus verbietet die Richterin der Beklagten Mia Farrow, die Kinder Moses, Dylan und Satchel außer Landes zu bringen, was sie angeblich angedroht hat.

So viel zum vorläufigen Ende einer elfjährigen Beziehung zweier erwachsener Menschen, die zusammen dreizehn zum Teil exzellente Filme zustande gebracht haben — und in besseren Zeiten zwischen sich nur den Central Park hatten (die Wohnungen liegen sich gegenüber).

Im Nebel der „Family Values“

Was den Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs angeht, so mangelt es Woody Allen nicht an Verteidigern. Die einen suchen ganz einfach seine Filme nach versteckten Hinweisen auf einen Kinderschänder ab — und finden keine. Andere, wie der Talkshow-Star und Allen-Freund Dick Cavett, fassen sich kurz und prägnant: „Wenn Woody Allen ein Kinderschänder ist, dann küsse ich in aller Öffentlichkeit Pat Buchanan.“

Was jedoch im Moment die Gemüter in den USA fast mehr erregt, ist Allens sture Weigerung, in seiner neuen Liebesbeziehung auch nur den Hauch eines Problems zu sehen. Mia Farrow, erklärt Woody Allen in seinem Time-Interview, hätte nicht anders reagiert, wenn er sich anstelle von Soon-Yi mit einer anderen Schauspielerin oder seiner Sekretärin eingelassen hätte. Solche Sätze kaufen ihm selbst überzeugte Fans nicht ab. „Woody war immer der ,Schlep‘ von nebenan“, sagt einer seiner Fans in einer Umfrage. „Keiner kann sich vorstellen, daß er sich jetzt wie Sean Penn oder Roman Polanksi benimmt.“

Nun gibt es natürlich auch solche, die sich das schon immer vorstellen konnten. Den Delegierten und Organisatoren des republikanischen Parteitags letzte Woche muß der Skandal aus Manhattan wie ein Geschenk des Himmels erschienen sein. Bislang mußten sie sich bei ihrem Kreuzzug zur Rettung der „family values“ darauf beschränken, fiktive Charaktere aus TV-Serien anzuprangern — zum Beispiel „Murphy Brown“, jene Karrierefrau, die ein Kind bekommt, ohne den Vater zu heiraten.

Jetzt demonstrieren Allen und Farrow während des Wahlkampfs live, was Amerikas Konservative als Übel der Nation ausgemacht haben: Mißachtung des heiligen Bundes der Ehe, chaotische Familienverhältnisse, Inzest und New York. Um das Thema noch für die großen Reden von George Bush und Dan Quayle auszuschlachten, war es in Houston zu spät. Aber zwischen den Landesfahnen und „Vote Bush“-Schildern, tauchten plötzlich handgemalte Transparente auf. „Woody Allen ist Clintons Berater für den Schutz der Familie“, stand da zu lesen. Mehr muß man gar nicht sagen, denn solche Anspielungen lösen eine ganze Reihe von Assoziationen aus: Die vermeintliche Vorliebe der Demokraten für nicht-eheliche Lebensgemeinschaften; Bill und Hillary Clintons Eheprobleme; das Image des Antihelden, das Woody Allen als Markenzeichen, Bill Clinton mit seiner angeblich unrühmlichen Vietnam-Vergangenheit als Last trägt und schließlich ein gemeinsames Faible für die Psychoanalyse. Woody Allen ist ohne Analytiker nicht denkbar, was einem in Manhattan zwar zum Ruhm gereicht, im Rest des Landes aber eher den Ruf eines Weichlings einbringt. Diesem, immer sehr subtil formulierten Vorwurf sehen sich beide demokratische Kandidaten, Bill Clinton und Al Gore, immer wieder ausgesetzt. Von ersterem weiß man, daß er sich in Ehetherapie begeben hat; das Ehepaar Gore hatte sich vor Jahren in psychotherapeutische Behandlung begeben, nachdem eines der Kinder bei einem Autounfall fast gestorben wäre. Das Klischee vom psychisch blockierten Präsidenten auf der Couch ist da nicht weit.

Alles in allem, schrieb der Kolumnist Walter Goodman halb ernst, halb ironisch in der New York Times, hätte das Zusammenspiel der Ereignisse für die Demokraten nicht ungünstiger sein können.

Wer sich jetzt aus der Realität in den Film flüchten möchte, kann dies in den USA bald tun. Allens Verleihfirma Tri-Star zieht die Premiere seines neuen Werkes vom 23. auf den 18.September vor und erweitert die Zahl der Premierenkinos auf 800. „Husbands and Wives“, so der Titel, handelt von einem Professor (Woody Allen) mit Ehefrau (Mia Farrow), der sich in eine junge College-Studentin verliebt. Im richtigen Film geht die Geschichte übrigens anders aus. Der Professor kehrt zu seiner Frau zurück. Andrea Böhm