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Polizeiführung räumt Fehler und Pannen ein

■ Mecklenburg-Vorpommerns Polizei hat gestern zugegeben, die Lage Montag abend falsch eingeschätzt zu haben. Darüber, ab wann die Polizei die Löscharbeiten der Feuerwehr sicherte, liegen jedoch...

Polizeiführung räumt Fehler und Pannen ein Mecklenburg-Vorpommerns Polizei hat gestern zugegeben, die Lage Montag abend falsch eingeschätzt zu haben. Darüber, ab wann die Polizei die Löscharbeiten der Feuerwehr sicherte, liegen jedoch widersprüchliche Angaben vor. Auch andere Fragen sind noch offen.

Die Polizeiführung Mecklenburg-Vorpommerns hat gestern erstmals eingeräumt, daß ihr bei den Einsätzen im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen Fehler unterlaufen sind. In der Nacht von Montag auf Dienstag war es vor der — inzwischen geräumten — Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber zu skandalösen Szenen gekommen: Randalierer hatten eine Wohnung des Gebäudes gegen 21.30 Uhr mit Molotowcocktails in Brand gesetzt. Als die Feuerwehr wenig später eintraf, „hat die Polizei sich nach hinten verzogen!“, so der örtliche Leiter der Feuerwehr, Wilfried Behnke, gegenüber der taz. Weil Randalierer die Feuerwehrleute mit Steinen bewarfen und schlugen, zogen die Löschkräfte wieder ab, „weil die Polizei uns nicht geschützt hat“, so Behnke.

Der zwischenzeitlich abgelöste und nun wieder im Amt befindliche Einsatzleiter der Polizei, Siegfried Kordus, räumte gestern ein, daß die Polizei sich bei ihrer Planung für Montag abend schlicht verschätzt habe. „Wir haben nicht damit gerechnet, daß wir mehr als 500 Beamte brauchen, um die Sache in den Griff zu kriegen!“ sagte er. „Unverständlich“ findet er die Tatsache, daß die Polizei und die Feuerwehr zwei völlig verschiedene Berichte über den Zeitablauf der Löscharbeiten abgegeben haben. Behnke erklärte, er habe um 21.51 Uhr das Lagezentrum der Polizei um Schutz gebeten, weil die Feuerwehrleute wieder abziehen mußten. Er habe ebenfalls darauf hingewiesen, daß sich in dem brennenden Häuserblock noch Vietnamesen befunden hätten: „Die konnte man doch sehen, die liefen doch auf dem Dach herum.“ Kordus bekräftigte dagegen, die Polizei habe nichts davon gewußt, daß sich noch Menschen im Gebäude aufgehalten hätten. Auch sei der Anruf der Feuerwehr erst um 22.16 Uhr erfolgt. Bis dahin hätte der Einsatzleiter vor Ort gemeldet, die Lage sei „nicht kompliziert“ — obwohl schon um 21.30 Uhr Flammen aus der ersten Etage des Gebäudes schlugen. Resultat dieses Kuddelmuddels: fast zwei Stunden lang bangten über 100 Menschen in dem Gebäude um ihr Leben. Das Feuer verwüstete in dieser Zeit drei Etagen des Plattenbaus. Kordus erklärte, bereits um 22.35 Uhr sei ein vollständiger Schutz der Feuerwehr gewährleistet gewesen. Das bestreitet Behnke — seiner Erinnerung nach konnten seine Kollegen erst kurz nach 23 Uhr mit ihrer Arbeit beginnen. Bevor die Feuerwehrleute mit den Löscharbeiten anfangen konnten, mußten sie zunächst die Vietnamesen, die sich zum Teil in ihren Wohnungen verbarrikadiert hatten, in Sicherheit bringen.

Die Abwesenheit der Polizeibeamten vom Ort des Geschehens begründete Kordus abermals mit dem Schichtwechsel der Beamten. Warum der fast zwei Stunden gedauert hat, konnte er auch gestern nicht erklären. Ebenso ungeklärt blieb die Frage, warum die Polizei am Montag davon ausging, daß die Randalierer „kein Feindobjekt“ mehr hatten. Denn die Vietnamesen, so berichten Anwohner, seien bereits am Sonntag angegriffen worden. Sowohl der Rostocker Ausländerbeauftragte Dr. Richter als auch die PDS-Abgeordnete Andrea Lederer wiesen darauf hin, daß sie die Polizei im Laufe des Montags über die Gefahr eines möglichen Überfalls unterrichtet hätten. „Wir haben vom Innenministerium die Information bekommen, die ZAST sei leer. Deshalb sind wir nicht davon ausgegangen, daß die Randalierer da noch mal was veranstalten!“ sagte Kordus.

Schon zu Beginn der Krawalle war es zu einer Reihe von Einsatzpannen gekommen. Als die Polizei in der Nacht von Samstag auf Sonntag eilig versuchte, eine Hundertschaft zusammenzutrommeln, meldeten sich nur 38 Beamte zum Dienst. Diese Polizisten waren auch noch vergleichsweise schlecht ausgerüstet. Das Problem: In Mecklenburg- Vorpommern haben auch die Polizisten selten einen Telefonanschluß. Der Inspekteur der Polizei in Mecklenburg, Hans Heinsen, bestätigte gestern, daß der Polizeifunk von Randalierern abgehört werde. Außerdem hätten Beamte bei der Durchsuchung eines verdächtigen Autos Störfunkapparaturen gefunden. Die rechtsradikalen Besitzer seien festgenommen worden. Ob sie die Kommunikation zwischen der Zentrale und den vor Ort befindlichen Beamten tatsächlich gestört haben, wußte er nicht: „Wir ermitteln noch.“ Insgesamt laufen 256 Ermittlungsverfahren.

Die antifaschistischen Gruppen, die am Sonntag gegen die Angriffe auf das Asylbewerberheim demonstrierten, verwiesen darauf, daß unter den 150 in dieser Nacht Festgenommenen „100 AntifaschistInnen“ waren. Sie seien von einer Hamburger Einsatzbereitschaft willkürlich auf einem Parkplatz festgenommen worden. Die Behauptung von Ministerpräsident Seite, Linke und Autonome hätten Seite an Seite mit den Rechten gekämpft, sei „vollkommener Quatsch“. Die Linken hätten sich an keiner Auseinandersetzung beteiligt, stellte gestern das Berliner antirassistische Bündnis klar.

Eine „letztendliche Bewertung“ der Vorfälle vom Montag abend sei ihm noch nicht möglich, sagte Kordus. Er übernehme aber die volle Verantwortung, auch wenn die Fehler von anderen Beamten gemacht worden seien. Die Gewerkschaft der Polizei will heute in Schwerin weitere Planungs- und Einsatzfehler bekannt machen. Claus Christian Malzahn,

Rostock

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