Die Schwächen der Kanalisation

■ Hamburgs Kanalisation wird zwar als eine der ältesten des Kontinents gefeiert, aber mit diesem System wird Raubbau an der Natur getrieben

getrieben.

Zu ihrem 150.Geburtstag wird die Hamburger Kanalisation als große zivilisatorische Errungenschaft gefeiert. Die Welt blickt beeindruckt auf die Unterwelt der Hansestadt. „Daß Hamburgs Untergrund heute von 5000 Kilometern Siel durchzogen wird, ist eine große Leistung, auf die man heute noch mit Recht stolz sein kann“, gratuliert Umweltsenator Fritz Vahrenholt. Das umfassende Sielnetz, 1842 geplant vom Engländer William Lindley, ist das älteste auf dem Kontinent und durchaus ein beeindruckendes Bauwerk, hat aber der Stadt nicht nur Vorteile gebracht.

Ein tödlicher Kreislauf

Fünfzig Jahre nachdem die ersten Hamburger ihre Fäkalien nicht mehr in die Fleete oder die Gosse kippten, sondern übers Wasserklosett in die Kanalisation, wurden die Probleme der neuen Unrat-Entsorgung das erste Mal erschreckend deutlich. Das unsichtbare Netz unterirdischer Kanäle spülte das gesammelte Abwasser an den Landungsbrücken in die Elbe, mitsamt allen Keimen und Krankheitserregern, die menschliche Ausscheidungen mit sich bringen. Die gemischte Fracht der Siele ergoß sich an den Landungsbrücken gänzlich ungeklärt in den Fluß, und wenige Kilometer stromaufwärts schloß sich bei Flut ein tödlicher Kreislauf zwischen Abwasser und Trinkwasser. Dort lag in Rothenburgsort die ebenfalls von Ingenieur Lindley nach dem großen Brand von 1842 angelegte zentrale Trinkwasserversorgung. Sie lieferte unfiltriertes Elb- und Abwasser einschließlich der Cholera-Erreger direkt aus dem Hahn, denn auf eine Sandfilteranlage hatte der Senat aus finanziellen Gründen verzichtet. Der Ausbruch der Cholera vor hundert Jahren ist also auch auf die Fäkalienentsorgung mit Wasser als Transportmittel, die Schwemmkanalisation zurückzuführen.

Untauglich zum Export

Daß Bakterien und Viren großflächig über die Gewässer verteilt werden — selbst durch die Kläranlage schlüpfen einige Keime quicklebendig durch —, ist nur einer von vielen Gründen, warum man dieses althergebrachte Prinzip der flüssigen Entsorgung nicht kritiklos feiern oder gar in alle Welt exportieren kann. Denn an den unterirdischen Kanälen mit angeschlossenen Wasserklosetts gibt es aus heutiger Sicht einiges zu bemängeln. Das WC verbraucht Unmengen Trinkwasser, 50 Liter der weltweit knapper werdenden Flüssigkeit läßt jeder Deutsche täglich ins Klo rauschen, eine Menge, von der ein Inder seinen durchschnittlichen Tagesbedarf decken könnte. Aber auch im feuchten Norddeutschland ist zu fragen, wie lange wir es uns noch leisten können, das kostbare Naß nur als Verdünnungsmittel für Fäkalien zu verschwenden. Der Stadtstaat Hamburg muß es inzwischen schließlich aus der Lüneburger Heide importieren, mit der Folge, daß dort der Grundwasserspiegel sinkt.

Wertvolle Stoffe werden nicht genutzt

Aber die rauschende Toilette vergeudet nicht nur Trinkwasser. Menschlicher Kot und Urin enthalten Stickstoff und Phosphor, die sich durchaus zur Bodenverbesserung verwenden ließen. Wenn die Kläranlage in Köhlbrandhöft allerdings den nährstoffreichen Schlamm mit großem Aufwand vom Wasser abgetrennt hat, läßt sich der altbewährte Kreislauf von Ernten, Essen, Ausscheiden, Kompostieren und Düngen nicht mehr schließen. Denn im Klärschlamm stecken auch die Gifte aus Putz- und Waschmitteln, Industrieabwässern, man kann ihn also nicht problemlos auf den Acker schütten.

Als weiterer Kritikpunkt sind die Kosten anzuführen, die die schwimmenden Fäkalien verursachen. Hamburg könnte sich heutzutage einen Neubau seiner Zentralkanalisation finanziell nicht mehr leisten, aber auch ihr Unterhalt verschlingt Millionen für Reparaturen, Sammler, Auffangbecken und Entlastungsprogramme, die die Alster vor den schädlichen Auswirkungen der Mischung aus Regenwasser, Kot und Abwässern schützen sollen.

Alternativen gibt es schon lange

Weil das Wegspülen menschlichen Unrats so teuer und umweltschädlich ist, daß WC und Schwemmkanalisation nicht zum weltweiten Vorbild taugen, ließ die Weltbank schon Mitte der 80er Jahre nach Alternativen forschen. Die wären im umweltbewußten Schweden schon seit 1964 zu finden gewesen. Da stellten sich die Nordländer die ersten ultramodernen Plumpsklos neben ihre Ferienhäuser. Diese trockenen Komposttoiletten brauchen weder einen Wasser- noch einen Abwasseranschluß, schonen die Gewässer, und sind nicht weniger hygienisch als ein WC. Die 20 bis 50 Liter Kompost aus ureigenster Produktion pro Person und Jahr können ohne Bedenken als Dünger im Garten eingesetzt werden, wenn man sie nicht direkt auf die Radieschen kippt. Während des vollbiologischen Abbaus reduziert sich die Masse menschlichen Abfalls

1auf etwa ein Zehntel ihres Volumens, die Fäkalien verrotten zu fruchtbarem Humus.

Heute werden auch in vielen schwedischen Mehrfamilienhäusern die Ausscheidungen der Bewohner per Unterdruck in den Keller gesogen und kompostieren dort geruchlos vor sich hin. Es gilt nur Abschied zu nehmen vom überflüssi-

1gen Rauschen der Klospülung und sich auf ein saugend-schmatzendes Geräusch umzustellen, wie es schließlich auch die Toiletten im ICE oder im Flugzeug verursachen. Ein kleiner Verzicht angesichts der großen Vorteile.

Inzwischen hat das trockene Vakuumklo auch Hamburg erreicht. In der Siedlung Neu-Allermöhe wur-

1den 32 Wohneinheiten in Mehrfamilienhäusern mit Komposttoiletten ausgestattet. Nur noch die wirklich flüssigen Küchen- und Badezimmer-Abwässer fließen in die Kanalisation. Ein Modellprojekt nach dem zukunftsweisenden Prinzip: Gar nicht erst vermischen, was man dann wieder mühselig voneinander trennen muß. Vera Stadie