Mehr als nur eine bloße Exportförderung

■ Mit den entwicklungspolitischen Leitlinien des Senats bekommt die Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit ein Fundament/ Von den rot-grünen Absichten ist bei Rot-Schwarz manches unter den Tisch gefallen/ Kompetenzen gering

Ein Fremdwort ist Entwicklungspolitik für den Senat nicht gewesen. Doch die 1977 verabschiedeten Richtlinien ähnelten mehr einer Exportförderung der deutschen Wirtschaft, als daß sie Belange der Dritten Welt berücksichtigte. Nun hat die Große Koalition neue entwicklungspolitische Leitlinien verabschiedet. Auf dem eigenen Mist aber sind die nicht gewachsen. Vielmehr wurde nach mehrjähriger Diskussion jetzt abgeschlossen, was noch unter Rot- Grün auf den Weg gebracht wurde.

Die politischen Ziele der Leitlinien erscheinen auf den ersten Blick überzeugend. Gefordert wird darin unter anderem:

—eine drastische Reduzierung der Schulden der Entwicklungsländer,

—eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung,

—die Bekämpfung der Armutswanderung,

—der vorrangige Einsatz der durch Abrüstung freiwerdenden Mittel für die Entwicklungsländer,

—die Durchsetzung der Menschenrechte sowie

—die entschlossene Bekämpfung von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Auch wird nun betont, mit der Entwicklungspolitik sollten keinerlei wirtschaftliche Interessen verfolgt und gefördert werden.

Dennoch, der Regierungswechsel in Berlin hat Spuren hinterlassen. Im ursprünglichen Entwurf, den die rot- grüne Mehrheit im Abgeordnetenhaus im Sommer 1990 verabschiedete, wurde noch eine umfassende Schuldenstreichung und eine neue Weltwirtschaftsordnung gefordert. Jetzt ist nur noch die Rede von drastischer Schuldenreduzierung und einer gerechten Weltordnung. Auch die Verantwortung des Nordens für die Umweltzerstörung und Entwicklungsdominanz des Südens wird nicht mehr hervorgehoben.

Dennoch gibt es eine Reihe von Verbesserungen. Der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen soll eine besondere Bedeutung eingeräumt werden. Die in den Leitlinien genannten Grundlagen und Ziele von Befriedigung der Grundbedürfnisse über Schutz der Umwelt, Stärkung demokratischer Selbstorganisation, Durchsetzung der Menschenrechte bis zur Verbesserung von Bedingungen für die gleichberechtigte Teilnahme von Frauen am Entwicklungsprozeß und an entwicklungspolitischer Bildungsarbeit sind umfassend. Sie eröffnen auch — insbesondere in der Forderung nach Überwindung rassistischer und geschlechtsspezifischer Diskriminierung — direkte Handlungsmöglichkeiten.

Begrüßenswert ist, daß der entwicklungspolitischen Informations- und Bildungsarbeit — auch in Verbindung mit der »klassischen« Projekteförderung im Ausland — eine wichtige Rolle zugewiesen wird. Hier wird auch die notwendige Verknüpfung mit Rassismus und Ausländerfeindlichkeit geleistet. Gerade an diesem Punkt sind die Leitlinien weitgehender als die reale Arbeit einer Reihe von halbstaatlichen und privaten Entwicklungsorganisationen in der Bundesrepublik.

Die entwicklungspolitischen Leitlinien sollen mehr sein als freischwebende Absichtserklärungen. Sie sollen vielmehr der bereits vor eineinhalb Jahren eingerichteten Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit (siehe Kasten) einen Handlungsrahmen geben. Inwieweit die Leitlinien die Arbeit der bisher in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Landesstelle unterstützen können, muß sich erweisen. Bislang jedenfalls sind die Entscheidungskompetenzen für die Landesstelle, die ihre Arbeit als Querschnittsaufgabe versteht und an Entscheidungen aller Senatsressorts mitbeteiligt sein will, eher kärglich.

Als positiv gelten muß der in den Leitlinien vom Senat angestrebte Dialog mit den Nichtregierungsorganisationen und Initiativen. Doch auch dieses muß erst ausgefüllt werden. Schließlich ist der unter Rot- Grün vorgesehene Projektbeirat in der Endfassung der Leitlinien nicht mehr enthalten. Und leider hat das Abgeordnetenhaus den geplanten Unterausschuß »Entwicklungspolitik« immer noch nicht eingerichtet.

Versprochen hatte der Senat auch, die Bemühungen von Nichtregierungsorganisationen zu unterstützen, ein »Haus für Entwicklung und Menschenrechte« einzurichten. Dies wird von den Ost- und Westberliner Initiativen gerade angesichts der galoppierenden Gewerbemieten heftig begrüßt. Seit der Absichtserklärung im November 1991 aber ist nichts passiert. Die gute Idee scheint statt dessen irgendwo in der Gemengelage der wiedervereinigten Immobilien und der Steuerungsfunktion der Treuhandanstalt auf der Strecke geblieben zu sein. Eberhard Bauer

Seit März 1991 arbeitet in Berlin die Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie als zentrale Informations- und Koordinierungsstelle des Senats. Die insgesamt acht voll- und teilzeitbeschäftigten MitarbeiterInnen sollen die entwicklungspolitischen Maßnahmen der verschiedenen Senatsverwaltungen koordinieren und die Einhaltung der »Entwicklungspolitischen Leitlinien« bei der Formulierung und Durchführung dieser Maßnahmen kontrollieren. Als Instrument dient der Landesstelle hierbei ein Vetorecht (»Mitzeichnung«). Ferner soll die Landesstelle die entwicklungspolitische Öffentlichkeitsarbeit des Senats forcieren sowie die Arbeit der in Berlin ansässigen entwicklungspolitischen Einrichtungen unterstützen. 1992 stehen ihr rund eine Million DM für die Projektunterstützung von Nichtregierungsorganistionen zur Verfügung, bei einem gesamten entwicklungspolitischen Haushaltsansatz von rund zehn Millionen DM.