Unter den Linden droht Geschichtsstreit

■ Die Bundesregierung will die Neue Wache zum »Bundesehrenmal für Opfer von Krieg und Gewalt« umbauen/ Im September beraten die Fraktionen

Berlin. Für Besucher ist sie seit Monaten geschlossen: die »Neue Wache« unter den Linden. Zu DDR-Zeiten war das »Mahnmal für die Opfer von Faschismus und Militarismus« eine beliebte Attraktion — nicht zuletzt wegen des täglichen Aufzugs des »Wachregiments Friedrich Engels«. Nachdem der Senat im Juli vergangenen Jahres den klassizistischen Schinkel-Bau an den Bund abgegeben hat, entscheidet Bonn über die weitere Nutzung. Dort wird seit geraumer Zeit darüber nachgedacht, den Ort in ein »Bundesehrenmal für die Opfer von Krieg und Gewalt« umzuwandeln. Karl-Heinz Schneider, Sprecher des in dieser Sache federführenden Innenministeriums, wollte gegenüber der taz »nicht ausschließen«, daß Anfang September erneut Gespräche über ein Bundesehrenmal mit den Bundestagsfraktionen geführt werden. Erst im Februar war Kanzleramtsminister Bohl (CDU) mit Vertretern der Parteien zu Beratungen zusammengekommen — bisher ergebnislos.

Heftig umstritten ist die Frage, was mit dem Innenraum der Wache geschehen soll. Der Zustand von 1969 ist — bis auf das DDR-Staatswappen an der Stirnseite — erhalten: das Glasprisma mit der Ewigen Flamme, davor die Gräber für den unbekannten Widerstandskämpfer und den unbekannten Soldaten sowie die an den Seitenmauern angebrachten Mahnungen für die Opfer von »Faschismus und Militarismus«.

In der Vergangenheit haben sich vor allem der konservative Publizist Wolf Jobst Siedler und der ehemalige Architekturprofessor der Hochschule der Künste (HdK), Julius Posener, mit Forderungen nach einem Umbau stark gemacht. Beide plädieren dafür, den Innenraum nach den Plänen des Architekten Heinrich Tessenow wiederherzurichten, der die Neue Wache 1931 in ein Mahnmal für die »Toten des Weltkrieges« umgebaut hatte. Posener zur taz: »Mit der heutigen Fassung hat man alles verdorben — der Raum versucht einfach zu sein, doch an die großartige Schlichtheit von Tessenows Bau kommt er nicht heran.« Ob diese Variante als Grundlage für die Neukonzeption herangezogen wird, ist bisher noch offen. Vom Kanzleramt hieß es dazu lediglich, es müsse eine Form gefunden werden, die »auch die Empfindungen der jüngeren und kommenden Generationen mit einbezieht«. Ebenso offen ist, ob die Bundeswehr zukünftig mit einer Ehrenwache präsent sein wird. Major Otto-Eberhard Zander, Sprecher der Bundeswehr in Berlin, hält militärische Zeremonien für Staatsempfänge für »denkbar«. Wachablösungen wie zu DDR-Zeiten werde es aber »mit Sicherheit nicht geben«.

Die AL stört bei den Überlegungen zu einem Bundesehrenmal die »unterschiedslose Trauer für Täter und Opfer des Krieges«. Alice Ströver, Fraktionsmitarbeiterin für Kultur und Medien, hält nichts davon, das »Gedenken an die Opfer einfach zu pauschalisieren — nicht jeder Soldat ist einfach ein Opfer gewesen«. Statt mit der Umwandlung die DDR- Geschichte gleich »mit zu beseitigen«, solle der Ort in seinem jetzigen Zustand erhalten bleiben.

Eine Ansicht, die der CDU-Bundestagsabgeordnete Jochen Feilcke nicht teilen kann: »Ein Opfer ist immer ein Opfer, egal ob braun oder rot. Es gibt nur unterschiedliche Täter.« Feilcke, der seit 1990 auf ein Bundesehrenmal drängt und darin ein »Stück Identität der Nation« widergespiegelt sehen will, möchte ein Mahnmal für »alle Opfer von Gewaltherrschaft, die von Deutschen über Deutsche gebracht worden ist«.

Auf wenig Gegenliebe stoßen die Umwandlungspläne bei der Denkmalpflege. Die stellvertretende Landeskonservatorin Christine Hoh- Slodczyk wünscht sich ein öffentliches Hearing. Sie würde für die leere Stirnseite der Wache einen Wettbewerb ausschreiben, sie ansonsten aber in ihrer heutigen Form belassen und ihre Geschichte nebenan im »Deutschen Historischen Museum« (DHM) darstellen.

Dessen Leiter Christoph Stölzl hält jedoch nichts von einer »Musealisierung der Neuen Wache«. Bei einer Neukonzeption sollte vielmehr an die »große Tradition gegenständlicher Kunst« angeknüpft werden — etwa in Anlehnung an die Bildhauerin Käthe Kollwitz. Severin Weiland