Starke Menschen wie wir

Flavor Flav von Public Enemy über Schallplatten als Alternative zum Fernsehen  ■ Interview: Harald Fricke

Tourkater-Stimmung auf dem Dachbalkon vor dem Winzappartment des Hilton-Hotels, in dem Flavor Flav und der Rest der Rapgruppe Public Enemy untergebracht sind. Der junge Mann im roten Trainingsanzug, dem die obligatorische Küchenuhr um den Hals baumelt, läßt zwei Stühle heranschaffen. Einen für seine Freundin, einen für die Presse. Er schaut uns beim Sitzen zu, verneigt sich und sagt: „Ein Platz für die Lady, einer für den weißen Herrn.“ Er lacht und beginnt auf der Stelle mit Statements zum Überleben, zur Wirtschaft und dem Guten im Menschen aus der Sicht eines Public Enemy. Wir hören zu und schreiben mit

taz: Auch in Deutschland gibt es mittlerweile täglich Schlagzeilen zum Thema Rassismus, Gewalt und Rechtsextremismus. Während ihr auf der anderen Hälfte der Weltkugel durch Australien getourt seid, wurden hier Häuser niedergebrannt, in denen Asylanten untergebracht waren. Wenn Rap von sich behauptet, die Wahrheit über die Welt, in der wir leben auszusprechen, dann hat er viel Arbeit vor sich.

Flavor Flav: Laß' mich zunächst das eine sagen: Es passieren weiterhin eine ganze Menge Dinge, die das Fernsehen den Menschen vorenthält. Du brauchst also nach wie vor eine andere Form der Kommunikation. Wir pressen diese Kommunikation auf Platte. Schallplatten sind im Moment die Alternative zu allen anderen Medien. Auch bei den rassistischen Übergriffen auf die Immigranten, von denen du gesprochen hast. Rassismus ist ein Weg, den unsere Vorfahren angelegt haben. Wir müssen nun mit dem Weg unserer Väter brechen und anstelle von Selbstzerstörung Selbstvereinigung aufbauen. Jetzt.

Das ist der Grund, warum Public Enemy überhaupt Platten herausbringt. Wir wollen sagen, was wir mit unseren eigenen Augen sehen. Den Erfolg merkst du daran, wie stark die Jugend an Platten glaubt. Sie hört nicht auf ihre Eltern, sie schaut nicht einmal fern. Du findest haufenweise Kids, die jeden Respekt vor den Lehrern verloren haben und dann von der Schule fliegen oder im Gefängnis verschwinden. Aber selbst dort werden sie nicht fernsehen, obwohl es eigentlich die einzige Sache ist, die du im Gefängnis tun kannst. Trotzdem wissen sie über die Welt Bescheid, weil sie Musik hören. Das ist Kommunikation.

Gerade im Bereich Musik findest du aber auf der anderen Seite immer öfter auch Zynismus.

Was du sagen willst, ist doch: Es gibt Leute, die aufgeben. Sie versuchen, bestimmte Ziele zu erreichen, und wenn es dann nicht klappt, denken sie: O.k., mein Leben ist gescheitert. Dann wechseln sie das Lager. Public Enemy wollen aber gerade jeden ermutigen. Wenn du etwas willst, dann tu es. Solange du weitermachst gibt es natürlich keine Garantie für ein Gelingen deiner Ziele. Nimm die Obdachlosen, die gar nichts mehr haben, die sich sagen: Meine Welt ist zu Ende. Daneben stehen nun starke Menschen wie wir, die losgehen und das Herz dieser Leute berühren können. Wir sagen: Hey, hör zu, wenn du genug Kraft hast, dich bis an die Ecke zu schleppen und den Cop dort um eine milde Gabe zu bitten, dann bist du auch stark, freundlich und intelligent genug, um von selbst wieder einen Job zu bekommen und ein Dach über dem Kopf.

Geld und Glauben bestimmen also die Zukunft? Du siehst doch genauso, wie es um die amerikanische Wirtschaft steht.

Hör zu, es geht mit der Wirtschaft den Bach herunter. Aber ich will jedem hier auf der Welt sagen, daß Geld Überleben bedeutet. Ich werde die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht fallenlassen. Ich stemme mich gegen den Niedergang. Ich werde versuchen, die Wirtschaft wieder in Gang zu setzen. Jedes Individuum kann einen gewaltigen Schritt in Richtung Veränderung machen. Leute ohne Kraft im Herzen gehen mit der Wirtschaft kaputt. Es ist, als würdest du einen Eimer Benzin nehmen, um damit ein Feuer zu löschen. Der Niedergang der Wirtschaft, das ist Bullshit. Vor Public Enemy haben Chuck D. und ich bei seinem Vater als Lastwagenfahrer gearbeitet. Was ich kann, kann jeder, das ist der Punkt: Du brauchst Leute, damit die Wirtschaft funktioniert.

Public Enemy singen über all diese Dinge, aber in einer ganz anderen Weise als die neuen Rap-Acts. Deren Hauptanliegen besteht offenbar darin, auf die schwarzen Listen in punkto „explicit lyrics“ zu kommen.

Bei uns findest du keine explicit lyrics, weil wir von der Wahrheit reden, in einer Form, die jeder hören und verstehen kann. Wenn andere Gruppen explicit lyrics benutzen, dann liegt es an der Art und Weise, wie diese Leute tatsächlich leben. Unsere Lyrics sind wirklichkeitsnäher. Wir öffnen den Leuten die Augen. Was das Fluchen betrifft: Wer darf sich das Recht herausnehmen, Worte als gut oder schlecht zu bewerten? Ein Wort ist ein Wort. Flüche gab es schon lange, bevor wir auf die Erde gekommen sind. Unsere Vorfahren haben geflucht und geflucht, jahrhundertelang. Man kann das nicht verbergen. Nicht nur das: Flüche existieren in der Sprache, weil sie die Sprache auf den gottverdammten Punkt bringen. Fluchen ist Leben. Mann, wir bringen die Realität auf Platten heraus, deswegen verkaufen sie sich. Und die Wirklichkeit in L.A. sieht eben aus wie in den explicit lyrics. Da leben sie in Gangs, und die Gangster-Sprache ist halt deutlich. Wenn du dich aufregst, sagst du eben (gestikuliert): „Motherfuck, fuck you man, I'm gonna fuck you up!“. Du sagst nicht: „Entschuldige bitte, du hast mich jetzt aber aufgeregt, ich möchte dir dafür in deinen Hintern treten“. Aber o.k., ich will nur, daß du siehst, was Sache ist. Explicit lyrics gehören zum Problem der Zensur. Oder, um mit meinem Freund Ice-T zu sprechen: Wie kann es die Freiheit der Rede geben, wenn du ständig aufpassen mußt, was du tun oder reden darfst. Scheiße, niemals. Du kannst mir eine Knarre an die Schläfe halten und drohen, ich darf dies oder das nicht sagen. Es ist meine Entscheidung, dabei mein Leben zu verlieren oder nicht. Und ich sage es eben trotzdem. Ach Gott, auch Kids wachsen in der Schule mit Flüchen auf.

War bei uns nicht anders.

Darum geht es nicht. Bei euch ist es ein Spiel. Es macht keinen Sinn. Wenn du aber Sprache benutzt, um dich verständlich zu machen, und dann reden die Leute einfach nur daher, ohne daß es etwas bedeutet, da bin ich dagegen. I'm totally against not making sense.

Zu eurer Arbeit mit Anthrax. Gibt es auf einmal so eine Art neuer Einigkeit zwischen weißem Hard Rock und schwarzem Rap?

Hinter der ganzen Sache steht allein der Gedanke, zu zeigen, daß Musik keine Hautfarbe hat. Es gab Zeiten, in denen wir mit den Sisters of Mercy getourt sind, was schief ging. Natürlich weil die Veranstalter es nicht richtig promotet haben — aus Angst vor einem gemischten Publikum, das unter einem Dach zusammenkommen könnte und eine Nacht lang Party feiert wie Schwestern und Brüder. Bei solchen Konzerten passiert in der Regel überhaupt nichts in Richtung Gewalt. Die meisten Leute, die sie verhindern wollen, sind eben Arschlöcher. Musik ist für jeden, der zuhören will. Wie die Fans von U2, mit denen wir in Amsterdam oder Manchester aufgetreten sind. Die haben herausgefunden, was wir zu sagen haben. Jetzt gibt es U2- Fans, die uns folgen, weil sie uns erkannt haben. Gott hat alle auf den gleichen Planeten gesetzt.

Letzte Frage: Spike Lee macht Werbung für Nike und vermittelt in seinen Spots schwarzes Lebensgefühl und schwarze Kultur. Wäre es nicht ein noch größerer Sieg, wenn Spike Lee Spots mit Farbigen für Apple-Computer drehen könnte? Schließlich sind Schwarze ja nicht nur Sportskanonen.

Wenn Apple zu mir kommt für einen Werbespot, wüßte ich doch auch nicht, wie so ein Apple-Computer funktioniert. Laß' Nike zu mir kommen, um einen Deal zu machen, dann sage ich: „Yo, laß' es uns machen.“ Ich trage deren Klamotten wie die von jeder anderen Firma auch. Womit ich zu tun habe, dafür stehe ich ein (lacht). Sollte ich etwa auch für dich einstehen? Was weiß ich denn schon von dir?

Aber es reicht doch nicht, für Sport zu sein, wenn sich die Welt in Büros abspielt.

Laß' mich dir das eine noch sagen: Sollte ich denken, daß ich auf Computer stehe, werde ich diesen Scheiß auch promoten. Und mein Freund Spike Lee würde es genauso tun. Also belassen wir es dabei.