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: Spätes Ende

■ Die USA, Frankreich und Großbritannien haben im Südirak eine „No-Fly-Zone“ verhängt

Das Überflugverbot für Bagdads Luftwaffe, das die westlichen Staaten der Golfkriegsallianz gestern über irakisches Territorium südlich des 32. Breitengrades verhängten, kommt zu spät, um als Schutzmaßnahme für die gepeinigte schiitisch-irakische Bevölkerung glaubwürdig zu sein. Eineinhalb Jahre liegt die Verabschiedung der UN-Resolution 388 zurück, die weitere Repressalien Bagdads gegen die irakische Zivilbevölkerung untersagt. An Verletzungen dieser Resolution hat es seither wahrlich nicht gefehlt. Nach einigem Zögern wurde im letzten Jahr immerhin im Nordirak eine sogenannte Schutzzone für die Kurden errichtet. Doch wurde seither der Einsatz der irakischen Armee gegen aufbegehrende Iraker, vor allem im schiitischen Süden des Landes, weitgehend ignoriert.

Wenn der US-Präsident nun die massive Verletzung von Menschenrechten im irakischen Süden entdeckt und mit geschicktem Timing eine Eskalation herbeiführt, darf dies getrost als Teil des Wahlkampfs gewertet werden. Doch spielen auch gewichtigere Motive eine Rolle, die bereits während des Golfkriegs zum Tragen kamen. Es geht nach wie vor um die Frage, wie Saddam Hussein gestürzt werden kann, ohne dabei den territorialen Status quo zu gefährden. Man will einen schwachen Irak, aber nicht seinen Zerfall. Im Falle der Kurden sahen vor allem die Türkei und der Iran, beides Staaten mit einer rebellischen kurdischen Minderheit, in der Errichtung einer „Schutzzone“ einen gefährlichen Präzedenzfall. Aus ähnlichen Gründen wehren sich nun die arabischen Mitglieder der Golfkriegsallianz, vor allem Saudi-Arabien, gegen die Errichtung einer entsprechenden Zone für die Schiiten im Südirak. Also mußten die Kriegsgegner des Irak in diesem Fall noch vorsichtiger verfahren. Die vom Iran unterstützten Autonomiebestrebungen der Schiiten im Südirak mußten sich erst völlig totlaufen. Das hieß: abwarten, bis Saddam Hussein mit dem schiitischen Widerstand aufgeräumt hat. Mitten im US-Wahlkampf scheint nun dieser Zeitpunkt gekommen. Dieser Politik sind Tausende von Schiiten geopfert worden.

Die Regierung eines Staates, der vor allem durch Terror zusammengehalten wird, ist nur mit Gewalt zu stürzen, wenn man den territorialen Zerfall dieses Staates in Kauf nimmt. Genau deshalb ist der Krieg gegen den Irak im vergangenen Jahr nicht „zu Ende geführt“ worden, wie Kriegsbefürworter beklagten. Jetzt, nachdem die Chance für eine Befreiung des Irak von innen weitgehend verspielt ist, jetzt wird der Krieg womöglich doch zu Ende geführt — militärisch oder durch einen von außen inszenierten Putsch gegen Saddam Hussein. Auch mit seinem Nachfolger werden die Iraker wenig Freude haben. Nina Corsten