Der Staat pocht auf sein Eigentum

In Ungarn lösen die Gründung einer Staatsholding und neue Privatisierungsgesetze Kontroversen aus  ■ Aus Budapest Keno Verseck

In Ungarn erhitzen zur Zeit heftige Debatten die Gemüter der sonst eher kühlen Ökonomen. Anlaß der Kontroversen ist ein dreiteiliges Gesetzespaket zur Privatisierung, das heute in Kraft tritt. Den neuen Gesetzen zufolge wird mehr als ein Drittel der gesamten Vermögensmasse dauerhaft in Staatshand verbleiben. Privatisierungsminister Tamás Szabó bezeichnet das Gesetzespaket als entscheidenden Fortschritt hin zu einer schnelleren Eigentumsumwandlung. Kritiker dagegen meinen, daß die Regierung mit der Neuverstaatlichung beginne, noch bevor in der Privatisierung überhaupt größere Erfolge erzielt wurden.

Durch die neuen Gesetze wird die Privatisierung in Ungarn erstmals umfassend geregelt. Bislang hat die Regierung nämlich die Trial-and- error-Methode walten lassen, wobei nach mehr als drei Jahren ein Modell der dezentralen Privatisierung unter zentraler Kontrolle herauskam. Ökonomisch gab es dabei weniger Schwierigkeiten. Vielmehr hat die Regierung die Privatisierung vor allem aus politischen Motiven verzögert, in deren Hintergrund die Angst vor einem „Ausverkauf des Nationalvermögens“ stand. Die Folge: Obwohl Ungarn bei der Eigentumsumwandlung von allen osteuropäischen Staaten bisher die größten Fortschritte erzielt hat, sind heute erst zehn Prozent des Staatsvermögens in privater Hand — 350 eher kleinere Firmen aus dem Gesamtbestand von 2.200 Unternehmen.

Als Mißerfolg erwiesen sich die von der Staatlichen Vermögensagentur ÁVÜ initiierten Privatisierungsverfahren: 80 Prozent aller Transaktionen wurden auf Betreiben der jeweiligen Unternehmen durchgeführt, und das erste (Test-) Privatisierungsprogramm mit 20 profitablen Großunternehmen ist gescheitert.

Die drei ab heute geltenden Gesetze sollen laut Regierung eine Basis schaffen, um den Privatisierungsprozeß insgesamt übersichtlicher zu gestalten und zu beschleunigen. Das wichtigste und zugleich umstrittenste Gesetz sieht die Gründung der Staatlichen Vermögensholding AG (AV Rt.) vor, in die rund 35 Prozent des gesamten Staatseigentums eingebracht werden. Die 100 bis 150 Unternehmen, die zu diesem Kreis gehören, möchte der Staat teils dauerhaft, teils langfristig behalten. Laut einer Liste, die alle zwei bis drei Jahre überprüft werden soll, bleiben einige wenige „strategisch wichtige Unternehmen“ wie Post und Eisenbahnen zu 100 Prozent in Staatshand. Bei anderen Firmen dieser Kategorie will der Staat einen Aktienanteil von 50 Prozent plus einer Stimme halten, zum Beispiel an der Ungarischen Ölindustrie AG (Mol Rt.), den Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerken, der Telefon- und der Fluggesellschaft. Schließlich sichert sich der Staat an weiteren Unternehmen eine Sperrminorität von 25 Prozent der Aktien plus einer Stimme. Das gilt unter anderem für Bergwerke, Unternehmen aus der Stahl-, Aluminium- und Chemieindustrie, der Fahrzeugindustrie, Banken sowie Firmen, die zum „Nationalreichtum“ zählen (Wein- und Salamiproduzenten). Alle restlichen Unternehmen stehen weiterhin unter ÁVÜ-Aufsicht und müssen privatisiert werden.

Die Tätigkeit der Staatlichen Vermögensagentur wird durch die beiden anderen Gesetze neu geregelt: Sie ist nun nicht mehr mit der Vermögensverwaltung, sondern ausschließlich mit der Privatisierung und ihrer Überwachung beauftragt.

Schon die Ankündigung des Gesetzesplans am Jahresanfang hatte einen Aufschrei bei der größten Oppositionspartei Bund Freier Demokraten (SZDSZ) ausgelöst. Tamás Bauer, Ökonom und SZDSZ-Vorstandsmitglied, sieht in den Gesetzen eine riesige Offensive des Staates, die selbst die Konzepte der letzten reformkommunistischen Regierung unter Miklós Németh überflügele. Mit einer derartigen Konzentration von Eigentum in den Händen einer staatlichen Superholding, so Bauer, gefährde die Antall-Regierung den Übergang zur Marktwirtschaft noch mehr, als sie das ohnehin schon tue.

Andere Ökonomen kritisieren an den Gesetzen, daß durch den hohen Anteil von Staatseigentum, die Attraktivität der Privatisierung insgesamt sinke. Sie befürchten außerdem, daß die profitablen Unternehmen der Staatsholding defizitäre Firmen finanzieren sollen.

Die Kritik der Freidemokraten scheint zwar übertrieben, denn immerhin geht die Antall-Regierung bei der ökonomischen Transformation konsequenter vor als einstmals die Reformkommunisten. Dennoch steckt in den Vorwürfen ein wahrer Kern. Auch die neuen Privatisierungsgesetze sind eher auf politischem als auf ökonomischem Hintergrund zustande gekommen. Ein einflußreicher Teil der Drei-Parteien- Koalition plädiert für mehr Staatsinterventionismus in der Wirtschaft. Zugute kommen seinen Vertretern bei der Argumentation die allgemein schlechte soziale Lage und ausgebliebene Privatisierungserfolge. Stimmung machen Regierungspolitiker auch gegen ausländische Investoren. In der Folge sah sich der Privatisierungsminister Tamás Szabó sogar genötigt, darauf hinzuweisen, daß Ausländer insgesamt nur rund sieben Prozent des ungarischen Vermögens besitzen. Anderseits ging es der Regierung darum, die Rolle der ÁVÜ zurückzudrängen. Die Vermögensagentur besitzt zwar keinerlei exekutive Funktionen. Letztlich aber hatte sich die Privatisierung in den Händen von 137 ÁVÜ-Mitarbeitern konzentriert.

László Urbán, Wirtschaftsexperte der Oppositionspartei Bund Junger Demokraten (Fidesz) und selbst Mitglied des ÁVÜ-Direktorenrates, sieht in den neuen Gesetzen allerdings den Vorteil, daß die ÁVÜ nun einen klareren Privatisierungsauftrag hat und keine Balanceakte mehr zwischen Eigentumsumwandlung und Erhaltung von Staatsvermögen vollführen muß. Die Kritik der Freidemokraten findet er überzogen. „Entscheidend ist jetzt, daß die Regierung ihr Versprechen einhält, bis 1994 50 Prozent des Staatseigentums zu privatisieren. Später kann der Kreis der Unternehmen, die in die Staatsholding kommen, neu durchgesehen werden. Aber das ist schon Aufgabe der nächsten Regierung.“