Kein Wort der Scham im Bonner Kabinett

■ Statt dessen betont die Regierung erneut ihr Verlangen nach einer Einschränkung des Asylrechts

Nach der fünften Rostocker Nacht gab der Kanzler vor dem Kabinett die Devise aus: „Es kommt jetzt darauf an, daß alle demokratischen Parteien in der Öffentlichkeit deutlich machen, daß Deutschland ein ausländerfreundliches Land ist und bleibt.“ So jedenfalls heißt es in Helmut Kohls Erklärung zu den „Vorfällen in Rostock“, die der Öffentlichkeit gestern als Produkt offenbar nicht sehr angestrengten Nachdenkens der höchsten Stellen präsentiert wurde. Der Kanzler und mit ihm sein Kabinett verurteilen „auf das Schärfste“, wollen „mit der vollen Härte unseres Strafrechts zur Rechenschaft“ ziehen, geißeln die Vorfälle als „eine Schande für unser Land“ und stellen nebenher fest, Gewalt gegen Ausländer sei „ein Problem auch in anderen Ländern Europas und der Welt“.

Kohl verlangt lückenlose Aufklärung und warnt im nächsten Satz „vor jeder Vorverurteilung der Polizei“. Immerhin: „Rostock muß uns Mahnung sein“, jedoch mahnt es lediglich, „die Ordnungskräfte in ihrem Vorgehen gegen Radikale und Extremisten nachhaltig zu unterstützen“. Schließlich soll die SPD ihren Worten Taten folgen lassen, denn: „Der Mißbrauch des Asylrechts muß endlich gelöst werden. Dazu zählt auch die Ergänzung des Grundgesetzes. Sie allein löst dieses Problem nicht, ist aber ein wichtiger Schritt zur Eindämmung des Asylmißbrauchs.“ Die Erklärung des Kanzlers richtet sich mit keinem Wort an die Opfer der Rostocker Krawalle.

Auf eine rasche Änderung des Asylrechts drängte erneut Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU). Er kritisierte Jusitizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die nicht mehr in diesem Jahr mit einer Grundgesetzänderung rechnet und geäußert hatte, sie glaube nicht, daß eine Änderung des Asylparagraphen die aufgebrachten Rostocker Bürger beruhigen werde. Seiters sieht hingegen dringenden Handlungsbedarf. Er geht davon aus, daß es bereits am 9.September zu einer ersten Verhandlung zwischen den Fraktionen der Regierungsparteien und der SPD kommen wird.

In ungewohnter Deutlichkeit wandte sich die Ausländerbeauftragte Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP) gegen den Ruf nach schneller Asylrechtsänderung. Es sei „nachträglicher Applaus“ und „Wasser auf die Mühlen der Randalierer“, schnelle Gesetzesänderungen mit den Rostocker Krawallen zu begründen. Schmalz-Jacobsen will bei der Sitzung des Innenausschusses am nächsten Montag eine Neuauflage der Kampagne gegen Ausländerfeindlichkeit vorschlagen.

Asylrechtsdebatte im hessischen Landtag

Die hessische CDU wollte gestern im Landtag in Wiesbaden während der Asyldebatte die Ungunst der Stunde nutzen und die zerstrittenen Sozialdemokraten in die Knie zwingen: Weil Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) in einem Interview den Schwenk des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Engholm hin zu einer Änderung oder Ergänzung des Asylartikels im Grundgesetz gebilligt hatte, glaubte die Union, das Parlament per Antrag — im Hinblick auf eine Bundesratsentscheidung — auf die CDU/CSU/Engholm-Linie einschwören zu können. Doch bei der Abstimmung votierten die SPD-Abgeordneten zusammen mit den Grünen die Union einstimmig vom Tisch. Man habe sich von der CDU nicht vorführen lassen wollen, begründete SPD-Frationschef Lothar Klemm das Abstimmungsverhalten der Sozialdemokraten.

Hart ging im Anschluß an Klemm der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rupert von Plottnitz, mit der Union ins Gericht: „Wir sollen heute auf Betreiben der Opposition hier Anträge diskutieren, in denen es nicht darum geht, Demokratie und Rechtsstaat vor dem kriminellen Mob zu schützen. Wir sollen auch nicht darüber diskutieren, was geschehen muß, damit das Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit geschützt werden kann. Nein, wir sollen vor dem Hintergrund der barbarischen Ereignisse in Rostock darüber diskutieren, daß und warum ein anderes Menschenrecht, das Asylrecht, einer Einschränkung unterzogen werden soll.“ Plottnitz erklärte für seine Fraktion, daß die Grünen nicht den geringsten Anlaß sehen würden, ihre bisherige Haltung zu korrigieren. „Wir bestreiten, daß sich auch nur irgendeines der sehr realen Probleme in diesem Bereich durch eine Änderung des Artikels 16 lösen läßt.“

Mit den Stimmen von SPD und Grünen wies der Landtag auch einen Antrag der Union auf Entlassung der für die Unterbringung von Asylbewerbern zuständigen Ministerin Iris Blaul (Die Grünen) zurück. Tissy Bruns, Bonn

Klaus-Peter Klingelschmitt,

Wiesbaden