Rostock und kein Ende

■ In der Nacht zum Donnerstag schlug die Polizei zu: Zum ersten Mal ging die Staatsmacht massiv gegen die Rechtsradikalen im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen vor. Auf politische Konsequenzen wartete man gestern...

Rostock und kein Ende In der Nacht zum Donnerstag schlug die Polizei zu: Zum ersten Mal ging die Staatsmacht massiv gegen die Rechtsradikalen im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen vor. Auf politische Konsequenzen wartete man gestern dagegen vergeblich. In Bonn fand das Bundeskabinett gestern kein Wort der Entschuldigung an die in Deutschland lebenden Nichtdeutschen.

Ein Ende der Krawalle im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen ist nicht in Sicht. Auch in der Nacht zum Donnerstag kam es wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen — allerdings flogen an diesem Abend nicht so viele Steine und Molotowcocktails wie zuvor. Die Zurückhaltung der Randalierer hatte einen einfachen Grund: Über 900 voll ausgerüstete Polizisten und Bundesgrenzschützer waren in den Straßen aufmarschiert, so viele wie nie zuvor. Weitere 600 Beamte waren in Bereitschaft. Nach den hilflosen und chaotischen Einsätzen am Samstag, Sonntag und Montag wollte die Polizei am fünften Randaleabend in Folge offenbar vorführen, wer in Rostock den Hut aufhat.

Nachdem Rechtsradikale — angeblich aus Hamburg und Bremen — einen Trabi in Brand gesteckt und Jugendliche Beamte mit Steinen beworfen hatten, gelang es der Polizei, etwa 300 Randalierer einzukesseln. Das ist in Lichtenhagen nicht einfach — es gibt sehr viele Nebenstraßen, Plätze und unübersichtliches Gelände. Einsatzleiter Knut Abramoski, der auch schon in der Nacht zuvor die Hundertschaften anführte, war über diesen taktischen Erfolg so begeistert, daß er Journalisten immer wieder zurief: „Gucken Sie sich mal den Kessel an. Ist der nicht Klasse geworden?“ Zum ersten Mal seit Samstag wurde bei einem Polizeieinsatz in Lichtenhagen kein einziger Beamter verletzt. Die Polizei meldete 146 Festnahmen, 26 Personen wurden dem Haftrichter vorgeführt. Die Anklage: Verdacht auf Landesfriedensbruch. Die Zahl der vorläufig Festgenommenen hat sich seit Mittwoch nacht auf 392 Personen erhöht. Nach Angaben der Polizei stammen etwa zwei Drittel der Personen aus Mecklenburg, die übrigen kommen vor allem aus Hamburg, Bremen und Berlin. Momentan wertet die Polizei auch Videobänder aus — die meisten Randalierer treten unmaskiert in Erscheinung. Ein Jugendlicher, der am Dienstag abend mit einer Gaspistole auf Polizisten geschossen hatte, trug gar als einziger einen knallroten Dress. Ein Beamter: „Wie kann man bloß so bescheuert sein, sich auch noch so auffällig anzuziehen.“ Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen eine spezielle Arbeitsgruppe gebildet und will schon in zwei Wochen die ersten Anklagen erheben. Man wolle den Beteiligten und der Öffentlichkeit „so schnell wie möglich“ zeigen, welche rechtlichen Konsequenzen sich aus solcher Randale ergeben, sagte der Rostocker Oberstaatsanwalt Wolfgang Neumann. Die Anklage lautete meist auf Landesfriedensbruch. Ein Rechtsradikaler wurde in der Nacht zuvor wegen versuchten Totschlags angeklagt. Neumann prüft auch, ob die Staatsanwaltschaft wegen des skandalösen Einsatzes am Montag abend auch gegen die Einsatzleitung der Polizei ermitteln muß. Der BBU hatte Anzeige gegen die Polizeiführung erstattet. Auch innerhalb der Polizei werden Konsequenzen aus dem Einsatz-Flop gezogen. Der Hamburger Innensenator Werner Hackmann will „seine“ Polizisten nur noch mit eigener Führung zur Amtshilfe nach Mecklenburg lassen. Die Beamten hätten „gravierende Führungsmängel“ beklagt, als sie an die Elbe zurückkehrten.

Polizei stoppt Rechtsradikale

Wie man sich auf einen befürchteten Aufmarsch Rechtsradikaler vorbereitet, hätten die Rostocker Verantwortlichen vorgestern abend in Eberswalde lernen können. 400 Polizisten und Bundesgrenzschützer waren dort im Einsatz, nachdem die Nationalistische Front in einem Flugblatt zur Demonstration gegen eine ORB-Liveübertragung zum Rechtsextremismus in Eberswalde aufgerufen hatte. Die Sendung wurde vom Marktplatz in das Landratsamt verlegt. Bereits fünf Kilometer vor der Ortseinfahrt checkten BGS-Mitarbeiter am frühen Abend die vorbeifahrenden Autos und waren auch in Eberswalde allerorten präsent — mit Erfolg. Die etwa 100 rechtsradikalen Jugendlichen hatten keine Chance, die Sendung zu stören. Statt dessen mußten sie sich mit der obligatorischen Pressearbeit begnügen. Unter „Solidarität mit Rostock“- und „Ausländer raus“-Gegröhle warfen sie sich vor Kameras und Mikrofone. Bis 22 Uhr marschierten die teilweise vermummten Demonstranten, von denen viele nicht älter als fünfzehn waren, mit ihren Springerstiefeln im strömenden Regen von der Kreisverwaltung zum nahegelegenen Asylbewerberheim und zurück zum Marktplatz. Ein harter Kern von 40 Rechtsradikalen wurde schließlich eingekesselt und vorübergehend festgenommen. Letzte Woche war es in Eberswalde bei einer Demonstration zum Gedenken an den im November 1990 von Skinheads zu Tode geprügelten Angolaner Amadeu Antonio zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Skins, Autonomen und der Polizei gekommen.

Bürgerinitiative gegen Flüchtlinge in Dresden

In Dresden kam es erneut zu Angriffen auf Asylbewerber. Nachdem bewaffnete Skins Montag abend an ihrer „friedlichen Demonstration“ vor einem Wohnheim polnischer Arbeiter durch die Polizei gehindert werden konnten, flog in der folgenden Nacht ein Brandsatz auf ein Flüchtlingsheim. Die Täter konnten entkommen. Seit Wochen mobilisiert eine „Bürgerinitiative“ die AnwohnerInnen gegen ein Flüchtlingsheim, das „klammheimlich und administrativ“ in Baracken untergebracht wurde, die mitten in einem Villenviertel stehen. „Bürger Dresdens, wehrt euch!“ ist ein anonymes Flugblatt überschrieben, das warnend fragt: „Wollen wir warten, bis noch mehr passiert?“ CC Malzahn, Rostock

Jeanette Goddar, Eberswalde

Detlef Krell, Dresden