: 2,3 Millionen Loch in Kammer-Haushalt
■ Vorwürfe gegen Angestelltenkammer: Keine Finanzkontrolle und Trickserei mit Gesetzesänderung
Die Gewerkschaft der Angestellten (DAG), seit 1987 Minderheit in der Angestelltenkammer, schlägt Alarm: Wenn die Kammer so weiterwirtschaftet wie bisher, dann ist sie bald nicht mehr liquide, sagt DAG-Bezirksvorsitzender Rolf Reinig.
Als die DAG-Vertreter am 20.8. zum „Parlament“ der Angestellten, der „Vollversammlung“ kamen, da mußten sie zur Kenntnis nehmen: Die Kammer hat im Jahre 1991 mit ihren Bildungsinstituten insgesamt 2,3 Millionen Schulden gemacht. Mehr noch: Der Präsident der Angestelltenkammer, sein Geschäftsführer und der Vorstand haben davon selbst erst im Juli 1992 erfahren. Sie hätten versucht, den leitenden Angestellten die Schuld zuzuschieben, berichteten die DAG-Vertreter aus der vertraulichen Vollversammlung.
„Kein Mensch hielt sich an den Haushalt
Quer durch alle Bereiche seien die Überziehungen angefallen, schimpft der Bremer DAG-Chef Hartmut Frensel, „kein Mensch hielt sich an den Haushalt“. Einen Nachtragshaushalt hat es auch nicht gegeben, „das Parlament wußte von all dem nichts.“
Angestelltenkammer-Geschäftsführer Eberhard Fuhrmann bestätigt das: „Wir haben die Planweichungen sehr spät erkannt“, sagt er, genauer: erst nach dem Ende des Jahres 1991. Deshalb konnte es keinen Nachtragshaushalt geben. Und begleitende Kostenkontrolle? „Hat es hier nie gegeben.“ Seit anderthalb Jahren bemühe er, Fuhrmann, sich, einen entsprechenden Computer mit entsprechend geschultem Personal für die Finanzbuchhaltung hinzubekommen, ab 1.1.1993 sei der wohl einsetzbar.
Auch für 1992, so erfuhr das Angestelltenkammer-Parlament per Tischvorlage im August, ist eine saftige Überziehung des Haushalts jetzt schon absehbar. 600.000 Mark zum Beispiel werde allein die Sozialakademie mehr verschlingen als geplant. Immerhin gibt es in diesem Jahr eine Zwischenbilanz per 30.6..
Das Geld sei leichtfertig ausgegeben worden, sagen die DAG- Kritiker. Für Aufgaben, die nicht im engeren Sinne Kammer-Aufgaben sind. Zum Beispiel werde eine Pilotstudie „Gesundheit in Bremen“ mit 190.000 Mark Kammer-Risiko finanziert. „Da hat ein Professor eine Idee und kein Geld“, sagt DAG-Vertreter Nikolaus Kaiser sarkastisch. Wo aber im Detail die Überziehungen des 1991'er Haushaltes zustandegekommen sind, konnten die DAG-Vertreter auf der „Vollversammlung“ nicht in Erfahrung bringen. Frensel: „Wenn der Vorstand nicht lügt, dann ist er heillos überfordert. Er muß zurücktreten.“
Das Defizit, so erläuterten die DAG-Leute, schlug nur deswegen nicht voll zu Buche, weil es aufgrund einer versteckten Beitragserhöhung 1991 auch ungeplante Einnahmen gab. Vom Weihnachts- und Urlaubsgeld mußten alle Angestellten im Lande Bremen erstmals 1991 auch 0,15 Prozent Beiträge zahlen. Die Finanzlage ist dennoch ernst: Bisher, so rechnet DAG- Vertreter Kaiser, müssen für einen 7 Millonen-Baukredit nur ca. 6 Prozent an die Sparkasse gezahlt werden. 1993 wird die Kammer marktübliche Zinsen zahlen müssen. Der Nachtragshaushalt für 1992, so Fuhrmann, wird wohl ca. 500.000 Mark umfassen. In der Kammer wird an Sparplänen gearbeitet. Sorge um die Liquidität der Kammer findet Fuhrmann jedoch „abstrus“.
Die DAG-Vertreter haben noch einen anderen Grund, stocksauer auf ihre Kollegen vom DGB zu sein: Denn kurz vor der Sitzung der „Vollversammlung“ bekamen sie eine Vorlage mit geplanten Gesetzesänderungen. Die Aufsichtsbehörde (Wirtschaftssenator), so habe der Vorstand erläutert, hätte diese Änderungen dringend angemahnt, es gehe um Formalien und Datenschutz-Anfordernisse, sonst könnten die Kammerwahlen 1993 nicht ordnungsgemäß stattfinden.
Den Ausschuß „Kammerrecht“ der Angestelltenkammer hat der Vorstand dabei schlicht übergangen. „Zeitdruck“ habe es gegeben, sagt Geschäftsführer Fehrmann, man habe den Ausschuß nicht beteiligen können. Die fast fertige Vorlage, die die Angestellten-Parlamentarier nie zu Gesicht bekamen, stammt allerdings schon aus dem Mai. Streng vertraulich.
Zeitdruck bei Gesetzesänderung?
m August hatte der Vorstand kurz vor der Sitzung nur noch Überschrift und Datum geändert. Und in dem 20seitigen juristischen Text entdeckten die DAG-Kollegen dann weit mehr als formelle Änderungen. Zum Beispiel wird die „Ökologie“ als Arbeitsfeld der Angestelltenkammer eingeführt. Dies gehe allerdings nicht auf einen Vorschlag der Aufsichtsbehörde zurück, räumt Geschäftsführer Fehrmann ein. Ein anderer Punkt: Durch das neue Kammergesetz soll der Geschäftsführer zum „Hauptgeschäftsführer“ werden. Auch das sei kein Vorschlag der Aufsichtsbehörde, so Frensel. Es bedeute schlicht eine Gehaltsaufbesserung von ca. 1500 Mark.
Geschäftsführer Fehrmann weist die Unterstellung, er habe ein Eigeninteresse hier hineingemogelt, erbost von sich: „Das ist eine gezielte Täuschung der Arbeitnehmer.“ Er jedenfalls wolle sich mit B4 begnügen und auch den Titel „Hauptgeschäftsführer“ nicht tragen. Die Führung des 27-Millionen-Unternehmens Angestelltenkammer durch einen Geschäftsführer allein sei allerdings „nicht mehr zeitgemäß“. K.W.
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