DER NAME ALLAHS IN GRANADA

■ 500 Jahre nach der Vertreibung der Mauren aus Granada lebt dort heute die größte Gemeinde spanischer Moslems

500 Jahre nach der Vertreibung der Mauren aus Granada lebt dort heute die größte Gemeinde spanischer Moslems

VONANTJEBAUER

Schwalben ziehen ihre Kreise über den weißen Häusern des Albaycin, des alten arabischen Viertels von Granada. Auf dem Hügel gegenüber, zum Greifen nah, erhebt sich ziegelrot die Alhambra, Sitz der letzten Maurenherrscher in Spanien. 500 Jahre ist es her, seit der letzte von ihnen, Boabdil, die Stadt den Katholischen Königen Isabella und Fernando übergab und damit ganz Spanien christlich wurde.

Auf der Terrasse eines Hauses im Albaycin schenkt Abdulbarr Tee in kleine Schalen. „Frauen haben eine völlig andere Energie als Männer. Das hat nichts miteinander zu tun“, sagt er. Abdulbarr trägt einen Zausebart, weite Hosen und normalerweise ein Käppi auf den kurzen Haaren, aber das hat er heute verlegt. Wegen der unterschiedlichen Energie ist Abdulbarr dafür, daß Männer und Frauen beim Beten und bei den donnerstäglichen Sufisitzungen getrennt sind. Daß seine marokkanische Frau jedesmal die Flucht ergreift, wenn er Freunde mit nach Hause bringt, findet er allerdings übertrieben.

Der Spanier Abdulbarr hat ein Leben der Suche hinter sich. Hat lange als Matrose der Handelsmarine gearbeitet, dann zwei Jahre allein auf einem andalusischen Dorf Lederschmuck hergestellt und gemalt, weil er sich der kapitalistischen Gesellschaft entziehen wollte. Nachdem er drei Tage lang mit überzeugten Moslems zusammengelebt hatte, konvertierte er zum Islam. „Ihre Lebensweise und ihre Gastfreundschaft haben mich überzeugt. Ich habe mir gesagt: Wenn's nichts ist, gehe ich wieder. Jetzt bin ich schon neun Jahre dabei.“

Gewundene Gassen mit Kopfsteinpflaster führen durch den Albaycin. Oben auf dem Hügel von hohen Mauern umgebene Villengrundstücke, aus denen rote Bougainvillea wuchert. Hügelabwärts kleine, alte Häuser, von denen der Putz blättert. An jeder Straßenecke lauert eine Katze; es duftet nach Jasmin. „Islam = Frieden“ steht an Wände gesprüht. In den ärmlichen Wohnungen des Viertels leben heute vor allem alte Leute und junge muslimische Familien. In der Caldereria-Straße haben marokkanische Immigranten einige Couscous-Restaurants aufgemacht, daneben liegen orientalisch eingerichtete Teestuben und Bioläden. Nirgendwo wird hier Alkohol ausgeschenkt. Tagsüber sitzen junge Marokkaner auf der Straße, während andalusische Hausfrauen und spanische Musliminnen im langen Rock über das Katzenkopfpflaster gehen. Nachts fallen kurzbehoste Touristen in die Couscous-Restaurants ein, und für ein paar Stunden gewinnt die Caldereria das Ansehen eines Sträßchens in Marrakesch. Danach findet sie wieder zur Gemächlichkeit einer Dorfstraße zurück.

„Wir glauben an die Baraka, die Gnade, eines Ortes“, versichert Shuayb. Insofern sei es vielleicht kein Zufall, daß ausgerechnet in Granada mit hundert Familien heute wieder die größte moslemische Gemeinschaft Spaniens lebe. Als Shuayb noch Bernardo Sanchez hieß, war er vom Anarchismus über die Esoterik zum Christentum gelangt. „Schließlich akzeptierte ich den Propheten Mohammed, der der auf Jesus folgende Prophet ist, so wie ich Jesus und seine Vorläufer akzeptiert hatte. Die Art, wie die Moslems lebten, war das, was ich suchte. Das ganze Leben war in einem Glauben vereint“, versichert Shuayb überzeugt. Der Islam habe sein Leben grundlegend verändert. Der ehemalige Vegetarier begann Fleisch zu essen, das vorschriftsmäßig geopfert worden war, er betet seither fünfmal am Tag, fastet am Ramadan und meidet die frenetischen Feste, die die Andalusier so gerne feiern. „Die Vorschriften, die man befolgen muß, sind keine Belastung. Im Gegenteil. Zum Beispiel die fünf Gebete die man täglich machen muß, sind für einen Moslem eine Erleichterung, denn es ist eine Begegnung mit dem Schöpfer und insofern ein Moment des Friedens.“ Gemeinsam mit Shuayb ist auch seine Frau zum Islam übergetreten, und nun erziehen sie ihre Kinder im Sinne des neuen Glaubens. „Zwingen kann ich sie nicht“, sagt er, „aber ich bin verpflichtet, ihnen beizubringen, was im Sinne des Islam korrekt ist.“

Shuayb stammt aus der Provinz Murcia. Nach seinem Übertritt zum Islam ist er nach Granada gezogen, wo es bereits eine Gruppe neuer Moslems gab. „Als Moslem muß man in der Gemeinschaft leben“, versichert er mit sanfter Stimme, „sonst wird man nachlässig.“ Da ist es nur konsequent, daß man mit den neuen Glaubensbrüdern auch arbeitet. Shuayb hat eine Keramikwerkstatt gegründet, in der auch Abdulbarr beschäftigt ist. Sie liegt ein Dutzend Kilometer vor der Stadt, dort, wo die Häßlichkeit von Industrieansiedlungen in die Schönheit einer einsamen, von Schafherden besiedelten Landschaft übergeht.

An der Scharia darf nicht gerüttelt werden

In einer lichtdurchfluteten Halle sitzen bärtige Männer vor Tonkrügen und -schalen. Es herrscht eine konzentrierte Stille. Die Stücke werden alle von Hand gemacht; erst kürzlich wurden Gußformen eingeführt, um auch billigere Ware anbieten zu können. Die Formen orientieren sich am nasridischen Stil aus der Zeit des letzten Sultans Boabdil. Sie werden von Hand mit den alten Mustern bemalt und gebrannt. Für manche Werke holte sich die Werkstatt Fachleute aus Marokko. So billig wie Fabrikware können diese Stücke nicht sein, dennoch hält sich die Werkstatt „Al Yarrar“ über Wasser. Die Mitarbeiter hier sind alle Moslems. Frauen werden nicht eingestellt. „Es haben mal welche hier gearbeitet. Nachdem sie gegangen sind, hat sich uns die Frage nicht mehr gestellt“, erklärt Abdulbarr. „Einige würden es sicher ablehnen, mit Frauen zu arbeiten.“ Mir begegnet man freundlich, aber mißtrauisch. Die verschiedenen Artikel, die über die neuen Moslems in der spanischen Presse erschienen sind, werden als sensationalistisch und oberflächlich kritisiert. „Die Presse redet immer darüber, daß ehebrechende Frauen nach islamischem Recht gesteinigt werden können“, empört sich der Buchhalter der Werkstatt, Salman, „und sie sagen nicht dazu, daß das auch für Männer gilt und daß dafür Augenzeugen beigebracht werden müssen.“ Die Anmerkung, daß in islamischen Ländern Männer das Recht haben, ihre Frauen ohne Angaben von Gründen zu verstoßen, Frauen hingegen nicht, ärgert Salman. An der Scharia, dem islamischen Gesetz, darf nicht gerüttelt werden.

Al-Taqwa liegt unauffällig in einer Nebenstraße der Caldereria. Sie ist eine der vier Moscheen der Stadt. Ein einfaches Wohnhaus, zum Gebetszentrum umfunktioniert. Von den zahlreichen jungen Marokkanern, die überall in der Stadt ambulant billige Hemden und Kosmetika verkaufen, finden nur wenige den Weg hierher: Den meisten ist die Religion egal und der Puritanismus der neuen spanischen Brüder suspekt. Zwischen den marokkanischen und den spanischen Besuchern der Moschee herrscht ein nicht allzu vertraulicher Ton: Man kennt sich, aber man bleibt lieber unter sich.

Auf der Plaza Nueva, am Fuße des Alhambrahügels, sitzen drei schwarze Raben. Weißes Gesicht, schwarze Anzüge, grabesernste Miene. Die ersten beiden Verabredungen mit mir haben sie platzen lassen, und nun schauen sie vorwurfsvoll auf die Uhr, weil ich zwei Minuten zu spät komme. „Das sind gute Leute“, hatte der syrische Imbißbesitzer an der Plaza gesagt, „gebildet und ernsthaft. Mit denen mußt du reden.“ Man kennt sich hier und weiß, wer mit wem verkehrt. Wie viele Tage ich Zeit hätte, fragt der Sprecher der drei, die zur Gruppe der Murabitun gehören. Auf die Antwort, es bleibe nur ein Tag, schütteln die drei den Kopf. Sie müßten meine Daten aufnehmen und weitergeben, müßten sich erkundigen, was das für eine Zeitung ist, für die ich schreibe, und andernorts die Genehmigung für ein Interview einholen. Das dauere seine Zeit. Ende des Gesprächs.

Bei ihrem Übertritt zum Islam seien sie zunächst alle zu den Murabitun gestoßen, berichtet Nejwa. Doch wegen der Rigidität der Gruppe sei einer nach dem anderen ausgetreten. Die 27jährige betreibt einen der Läden der Kooperative Al- Yarrar. Nejwa, seit neun Jahren Muslimin, ist die einzige, die Zweifel äußert, ob der Islam wirklich so haarklein befolgt werden muß, wie die Konvertierten hier das tun. „Als ich am Anfang dazugestoßen bin, habe ich einfach alles nachgemacht“, erinnert sie sich. „Doch inzwischen stelle ich alles in Frage.“ Zusammen mit anderen neuen Mosleminnen hat sie die Frauengruppe al-Nisa gegründet, die Bücher der marokkanischen Soziologin Fatima Mernissi ins Spanische übersetzt und den Koran nach frauenfreundlichen Stellen durchforstet. Nejwa ist das Gegenstück zu den düsteren Murabitun: Sie trägt ein buntes Kopftuch, das den Haaransatz freiläßt, große Ohrringe und einen langen, farbigen Rock. Aus Oppositionsgeist geht sie mit ihrem Kopftuch in Rockkonzerte — um zu zeigen, daß auch Musliminnen das tun. „Die Dreifaltigkeit der christlichen Religion hat mich nie überzeugt“, sagt sie. „Das war mir nicht verständlich. Den Islam mit seinem einen Gott fand ich da viel besser.“ Und das mit der Schlechterbehandlung der Frauen sei vor allem eine Frage der Interpretation. Daß sie sich, sei es auch nur innerhalb der moslemischen Gemeinde Granadas, mit dieser Auffassung wird durchsetzen können, glaubt Nejwa freilich selber nicht. „Ich denke, den Männern ist das egal, was wir da proklamieren“, vermutet sie.

Ein Deutscher dirigiert die Esoterik-Gruppe

Siesta in der Kleinstadt. Eine unbarmherzige Sonne über den Straßen von Granada. Selbst die Katzen haben sich in einen schattigen Winkel verzogen. Im Wohnraum eines Hauses im Albaycin lagert eine Gruppe junger Männer. In geringem Abstand, durch einen Paravent mehr symbolisch von ihnen getrennt, sitze ich einem von ihnen gegenüber. „Du mußt Abdurrahman fragen, wenn du mit mir reden willst“, hatte Habiba auf meine Bitte um ein Gespräch geantwortet. „Das ist, weil ich ihr Meister bin“, begründet Abdurrahman diese merkwürdige Bedingung. Er ist groß, blond, blauäugig und trägt Birkenstockschuhe — ein Deutscher. Er hat die Funktion des Meisters der örtlichen Cerrahi-Gruppe inne, eines mystischen Ordens mit Sitz in Istanbul. „Die da behaupten, ihr ganzes Leben hätte sich durch ihren Übertritt zum Islam verändert, reden Unsinn“, versichert Abdurrahman. „Für mich ist alles gleich geblieben. Ich bin genauso unruhig wie früher und fühle mich auch sonst gleich. Daß ich auf den Islam gestoßen bin, war mein Weg, und damit basta. Ich hatte keine andere Wahl.“ Ein hochgewachsener spanischer Moslem in langem arabischem Gewand mit einem Fes auf dem Kopf hat eine Schale voll roter Kirschen vor uns hingestellt, ein anderer serviert Tee. Die jungen Männer sitzen auf Kissen auf dem Boden und unterhalten sich leise. Vom Innenhof klingen Kinderstimmen herein, ab und zu kommt eine Frau und bittet um Zigaretten. „Bei uns sitzen Frauen und Männer zusammen, aber dies ist ein fremdes Haus, und da respektieren wir die Sitten“, sagt Abdurrahman.

„Bei uns“, das ist in einem Dorf in der Nähe von Granada, wo sich die Gruppe um Abdurrahman täglich trifft und einmal wöchentlich eine Sufisitzung abhält, zu der auch Abdulbarr häufig aus Granada anreist. Bis früh am Morgen wird auf diesen Sitzungen gebetet, gesungen, Musik gemacht und meditiert. Während des rituellen Teils sind allerdings auch hier die Frauen getrennt. „Wenn während des Gebets eine Frau vor mir sitzt und niederkniet, denke ich nicht mehr an Gott, da soll sich doch keiner was vormachen“, kommentiert Abdurrahman. Mit den Nachbarn gibt es keine Probleme: Die Moslems trinken nicht, machen keine laute Musik, arbeiten und stellen keinen Frauen nach. Gibt es Anständigeres?

Zur Zeit des Abendgebets verlasse ich Abdurrahman und seine Brüder, an den Fingern noch den Duft von Amber, von dem jeder in der Runde ein Bröckchen bekommen hatte. Wo der Albaycin endet, braust der Verkehr durchs moderne Granada. Es sind Festtage: Auf öffentlichen Plätzen wird dröhnend Flamenco gespielt, während sich Frauen in langen Rüschenkleidern Luft zufächern. Laut ist die Stadt, lebenslustig und oberflächlich. Die Alcaiceria, der alte maurische Markt, ist Folklore: vor allem für nostalgische Touristen gut. Im Albaycin breiten Abdulbarr und Shuayb ihre Gebetsteppiche aus und rufen, wie die Mauren vor 500 Jahren, Allahs Namen an.