Wer, wo, was, wieso, weshalb, warum?

■ taz entwirrt: Der gordische Knoten der verflochtenen Medien/ Konzentrationen im Kommerz-Fernsehen

Ach, wie muß man doch von bösen Buben hören oder lesen: RTL- Chef Helmut Thoma beschimpft den Filmhändler Leo Kirch als neuen Hugenberg, und Kirchs Sohn — beziehungsweise dessen Sender Pro7 — schlägt zurück und wirft dem RTLplus-Boß eigene Machtgelüste und Mißmanagement vor. Hinter diesem medienwirksamen Watschentanz verbirgt sich der verschärfte Machtkampf um die Hegemonie im bundesdeutschen Kommerzfernsehen.

Kirchs Machtposition beruht auf den Rechten an rund 15.000 Spielfilmen und 50.000 weiteren Sendestunden. Groß geworden durch Geschäfte mit den Öffentlich-rechtlichen war der Kanzlerfreund und Medienhändler bei der Gründung von Sat.1 mit von der Partie. Nach Axel Springers Ableben versuchte er ab 1987 das Steuer des Verlagsimperiums zu übernehmen, um so einen Multi-Media-Konzern zu schaffen. Springer ist drittgrößter Anbieter bei Fernsehzeitschriften, verkauft jede vierte Tageszeitung und ist bundesweit beim kommerziellen Hörfunk engagiert. 1991 arrangierte man sich, und ein Kirch-Vertreter bekam einen Vorstandsvorsitz bei Springer. Seitdem ist man bei den elektronischen Medien wieder auf einer Linie.

Kirch baute zielstrebig sein Senderimperium aus, so übernahm 1988 sein Sohn 48Prozent des damaligen Senders „Eureka“, weitere zwei Prozent hält der Geschäftsführer Leo Kofler, ehedem Büroleiter Kirchs. Das Programm des nun Pro7 genannten Senders wird vor allem aus Papa Kirchs Arsenalen gefüllt. So kaufte man 1990 ein Filmpaket mit 2.500 Titeln über einen Zwischenhändler und 500 Filme direkt bei Kirch-Firmen. Der Zwischenhändler heißt Otto Beisheim und ist der milliardenschwere Gründer der Schweizer Großhandelskette „Metro“. Laut Spiegel früheres Mitglied der Waffen-SS. Er spielt auch beim nächsten Kirch-Coup eine Rolle. Im Februar 1992 startete der Kabelkanal, an dem Beisheim und Pro7 mit jeweils 45Prozent sowie der „Privatmann“ Kofler mit zehn Prozent beteiligt sind. Wie eng die Bindungen sind, zeigt die Gründung der Media Gruppe München (MGM), die die Werbezeiten beider Sender gemeinsam vermarktet.

Aktueller Schlag der Kirch/Springer-Truppe ist die Übernahme bei Tele5 in München. Unter dem Namen „musicbox“ gründete die Kabel Media Programmgesellschaft (KMP) 1986 den Sender, aber bereits ein Jahr später bekamen die Besitzer Fischer und Kloiber finanzielle Probleme. Als Retter erschien der italienische Medienzar Silvio Berlusconi auf der Bildfläche und übernahm 45 Prozent, Fischer behielt nur noch zehn Prozent und Kloiber den Rest.

Vom Kartellamt genehmigt

Aber schon 1989 suchte man wieder nach Geldgebern und fand sie bei der luxemburgischen CLT, Mitbesitzerin von RTLplus. Gleichzeitig tauchte mit dem Springer Verlag ein weiterer Interessent auf. Damals lag dieser im Streit mit Kirch und überlegte den Ausstieg bei Sat.1. Die Verhandlungen zogen sich bis 1990 hin, dann erst genehmigte das Kartellamt den Kauf von 29Prozent.

Wieder änderte man das Programm, nun vom Jugendsender zum TV-Angebot für die junge Familie. Mitbegründer Fischer verkaufte deshalb verbittert seine Anteile. Die finanziellen Probleme bestanden trotz des Programmwechsels weiter, und Pro7 verdrängte Tele5 auf den vierten Platz in der Gunst der Kabelseher. Im April 1992 verkaufte die CLT überraschend ihre Anteile an Springer. Gegen diese Mehrheit sah der zweite Gründer Kloiber keine Chance und stieg ebenfalls aus. Nunmehr gehörte Tele5 zu jeweils einem Viertel Springer und Kirch. Berlusconi hält 34Prozent. Für den Rest fand man jetzt einen Käufer: die „Neue Medien Beteiligungsgesellschaft“, hinter der sich eine Hamburger Privatbank und ein Notar verbergen. Nach Ansicht des bayerischen SPD-Medienrates Warnecke soll diese Bank „einen Großkunden mit Namen Springer“ haben.

Für Kloiber ist der Mailänder Medienmulti nur ein Strohmann für Kirch, um eine „Marktbereinigung“ zugunsten von Pro7 durchzuführen. Sofort nach der Übernahme verkündete Springer die Umwandlung des Senders zum Sportprogramm, damit ist die Konkurrenzsituation bereinigt. Die Werbung wird jetzt für die drei Sender gemeinsam vermarktet, und man machte umgehend den ehemaligen Chefredakteur vom Kabelkanal, Donald McLaughlin, zum neuen Boß bei Tele5.

Auch beim zukunftsträchtigen Pay-TV sicherten sich Kirch und sein Erzrivale Bertelsmann Plätze in der ersten Reihe. Den ersten Versuch eines über Abonnements finanzierten Spielfilmsenders starteten Kirch, Springer und Bertelsmann bereits 1986 mit dem „Teleclub“ in Hannover. Diese erste Ehe dauerte nur ein Jahr, dann schieden Springer und der Gütersloher Konzern wieder aus. Aber bereits 1990 ging man mit Bertelsmann erneut eine Pay-TV-Ehe ein, dazu stieß noch der französische Abo-Sender „Canal Plus“, und so kam es im März 1991 zur Geburt von „Premiere“. Ein Jahr später gab es bereits 320.000 Abonnenten und 100 Millionen Mark Verlust, Kirch aber besaß eine neue Abspielfläche. Bis Ende 1994 hoffen die Betreiber in die schwarzen Zahlen zu kommen.

Hinter RTLplus steht mit Bertelsmann das zweitgrößte Medienunternehmen der Welt und dessen Tochterunternehmen Ufa, die knapp 39 Prozent der Anteile bei RTLplus hält, während die CLT aus Luxemburg rund 46Prozent besitzt. Von Anfang an war das Verhältnis zwischen Kirch/Springer und RTLplus von harter Konkurrenz geprägt, da es dem Kölner Sender zuerst fast unmöglich war, an die Ausstrahlungsrechte von Filmen zu kommen, da sie fast alle bei Kirchs Firmen lagen. Trotzdem schaffte man es, vor allem mit Eigenproduktionen und Schmuddel-Sex, Sat.1 in Sachen Einschaltquoten und Werbeeinnahmen zu überrunden. Hierbei half auch die SPD-Regierung in NRW, die aus standortpolitischen Gründen die mit einfachen Hausantennen empfangbaren terrestrischen Frequenzen des Landes RTLplus in Köln zur Verfügung stellte. Somit konnte der Sender mehr Fernsehhaushalte erreichen als Kirch und Konsorten.

Angesichts der Entwicklung zu Zielgruppenprogrammen hat RTLplus im Kampf um die Milliardenetats der werbetreibenden Wirtschaft mit einem Programm keine Chance. Bei Bertelsmann sucht man nach neuen Möglichkeiten. Bereits 1989 bewarb man sich um den letzten freien Kanal des direktempfangbaren Satelliten-TV-SAT. Obwohl technisch und wirtschaftlich ein Flop, den die PostkundInnen zahlen müssen, waren mit der Kanallizenz weitere der begehrten terrestrischen Sender im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen verbunden. Die guten Kontakte des Hauses Bertelsmann zur Landesregierung führten zum Zuschlag für das „Westschiene“-Programm. An dem geplanten Informationskanal halten die Ufa und die Westdeutsche Landesbank knapp 25Prozent der Anteile. Holtzbrinck und der weltweit größte Medienkonzern Time/Warner besitzen jeweils knapp 15Prozent. Time/ Warner ist inzwischen bei der Westschiene ausgestiegen und konzentriert sich auf sein Engagement beim geplanten Berliner Nachrichtenkanal „n-tv“. Auch die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), Anteilseignerin bei RTLplus, zog sich aus dem — mittlerweile „Vox“ getauften — Westschiene-Kanal zurück. Sie sah keine wirtschaftlichen Chancen für das Programm.

Im Mai kündigte RTLplus-Chef Thoma ein RTL2-Programm für den Herbst an, das Spielfilme und Serien für ein junges Publikum anbieten soll. So versucht man auch hier die Explosion bei den Programmkosten gegenüber dem langsameren Umsatzwachstum durch die Mehrfachverwertung der 5.000 Filme des Senders aufzufangen. Als Partner wünscht man sich z.B. den Bauer- Verlag. Die WAZ, bei RTLplus nur mit zehn Prozent beteiligt, soll bei RTL2 mehr Einfluß bekommen. Mittlerweile hat Bertelsmann kalte Füße bekommen, ob zwei zusätzliche Programme wirtschaftlich tragbar sind angesichts der vom Konzernsprecher Manfred Harnischfeger befürchteten „drohenden Überbesetzung des Fernsehmarktes“. Nun plant man eine Fusion von RTL2 und Vox, endgültig ist aber noch nichts beschlossen. Dieses Vorgehen widerspricht der von Bertelsmann-Vorstand Mark Wössner formulierten langfristigen Programmentwicklung. Wössner erwartet eine „tendenzielle Strukturierung der Mediennutzer in Unterhaltungspublikum und Informationspublikum“, um eine zielgruppenspezifische werbliche Ansprache möglich zu machen.

Bertelsmann und Kirch/Springer haben sich verstärkt im Bereich Produktion und Handel mit Programmrechten engagiert. Zum Kirch/ Springer-Imperium gehören Unternehmen wie die Neue Constantin Film oder Plazas Media (Game Shows) oder die Neue Deutsche Filmgesellschaft (NDF), die hierzulande zu den größten TV-Serienproduzenten gehört.

Aus der DEFA-Konkursmasse übernahm man für rund 225 Millionen Mark das Synchronstudio sowie den Dokumentarfilm-Bereich mit einem Archiv von 8.000 Filmen. Bereits 1987 engagierte sich Kirch in den USA bei der Tribune Broadcasting Company, um für den US-europäischen Markt Serien und Filme zu produzieren. Im europäischen Raum kooperiert man mit dem französischen Privatsender TF1 und Berlusconis Fininvest, um jährlich 20 bis 25 Großfilme zu produzieren. Zusammen mit Springer ist Kirch Besitzer der Internationalen Sportrechte- Verwertungs GmbH (ISPR), die gerade für 700 Millionen Mark die Exklusivrechte beider Fußball-Bundesligen erworben hat.

Zum Gütersloher Bertelsmannkonzern gehört auch die Universum Film in Berlin und die Real-Film Köln sowie seit letztem Jahr die Trebitsch-Gruppe in Hamburg, die Serien wie „Diese Drombuschs“ oder „Die Bertinis“ produzierte. RTLplus kooperiert mit dem US-Unternehmen Columbia Pictures International TV, einer Tochter des japanischen Sony-Konzerns. Unter dem Titel „Berlin Break“ wird zur Zeit eine Spionageserie für den internationalen Markt produziert. Außerdem bekommt RTLplus die Rechte an 200 US-Filmen und Serien und 35 Neuproduktionen Columbias. Auch mit dem französischen Käufer der DEFA, der Compagnie generale des Eaux (CGE), vereinbarte man die Gründung der DEFA-Film-GmbH. Immerhin finanziert die CGE 90 Prozent der französischen Filme und ist Mitbesitzer des gallischen Pay-TV- Senders „Canal Plus“. Der Boom bei kommerziellen TV-Stationen bei uns wird durch die Zahl der Kabelanschlüsse wirtschaftlich erst möglich. Derzeit nutzen über zehn Millionen der anschließbaren Haushalte (58 Prozent) in den Altländern den Kabelanschluß. Hinzu kommen Satellitenantennen in den neuen Ländern. Die dortigen Haushalte sind angeblich zu 45 Prozent versorgt, in den Altländern sind es gerade acht Prozent. Dies ergibt, zusammengerechnet mit den terrestrischen Sendern, genug Publikumsreichweite, rund 75Prozent aller Kabelhaushalte, um rentabel Werbezeiten verkaufen zu können.

Wir schauen ein bißchen irritiert zu

Die Zukunft unseres TV-Maktes machen die beiden Machtgruppen unter sich aus. Vielleicht engagieren sich noch einige Banken bzw. Firmen auf der Suche nach günstigen Kapitalanlagen. Auch international wachsen die Veranstalter und Produzenten immer stärker zusammen. Rundfunk ist Geschäft. Wer viele Sender mit eigenen Programmen füllen kann, diktiert die Werbepreise. Ob auf Dauer alle Sender überleben oder es vielleicht noch mehr werden, hängt von der Entwicklung des Werbemarktes, somit der allgemeinen Konjunktur und auch der Aggressivität der Marktkämpfe zwischen den TV- Konzernen ab. Doch der Widerstand der Werbewirtschaft gegen die Medienoligopole mehrt sich. Bernd Michael, Gesellschafter der Grey- Gruppe, einer der größten Werbeagenturen Deutschlands, kritisierte die Tendenz zu monopolistischer Preisgestaltung beim Verkauf von Werbezeiten.

Und wie steht es mit der von den Politikern versprochenen gesellschaftlichen Kontrolle des kommerziellen Rundfunks? Die dazu eingerichteten Überwachungsorgane in den Ländern betrachten sich als Einrichtungen zur Förderung der wirtschaftsorientierten Standortpolitik ihrer Landesregierung und als Förderorgan kommerzieller Medienunternehmen. Die reale Hilflosigkeit brachte Kurt Stockmann, Vorsitzender der 6. Beschlußkammer des Bundeskartellamtes, auf den Punkt, als er zum Tele5-Poker konstatierte: „Wir schauen ein bißchen irritiert zu.“ Philippe Ressing