Das andere Rostock geht auf die Straße

3.000 Menschen demonstrieren in der Rostocker Innenstadt gegen Rassismus/ Erstmals seit sechs Tagen blieb es in Lichtenhagen ruhig/ Furcht vor Ausschreitungen am Wochenende/ Antirassistische Demonstration am Samstag  ■ Aus Rostock CC Malzahn

Fünf Tage hat es gedauert, bis das „andere Rostock“ auf die Straße ging: Etwa 3.000 Menschen haben am Donnerstag abend in der Rostocker Innenstadt gegen Gewalt und Rassismus demonstriert. In der Lokalpresse war gestern sogar von 6.000 Teilnehmern die Rede — die Rostocker Zeitungen sind seit Tagen bemüht, den Nachweis dafür zu erbringen, daß die Bevölkerung die rechtsradikalen Ausschreitungen verurteilt. Zu einer Protestkundgebung am Montag abend waren nur 100 Personen gekommen, darunter auch eine Gruppe von Grünen aus Berlin. Rostock hat etwa 245.000 Einwohner.

Die Demonstration am Donnerstag stand unter dem Motto „Zündet Kerzen an und keine Häuser!“, zur Teilnahme an dem Schweigemarsch hatten Bürgerbewegungen, Kirchen und Gewerkschaften aufgerufen. Auf der Kundgebung zu Beginn des Marsches, der ohne Zwischenfälle ablief, sprach auch der Präsident der Rostocker Bürgerschaft, Christoph Kleemann. „Als Bürger dieser Stadt schäme ich mich“, sagte er unter starkem Beifall zu den Demonstranten, „ich möchte in Rostock leben, aber nicht in einer Stadt, die Ausländer ausgrenzt.“ Kleemann war der erste Senatsvertreter, der seit Samstag abend von „Scham“ gesprochen hat.

In der Stadtregierung — in Rostock regiert eine ganz große Koalition aus SPD, CDU, FDP und Bündnis 90 — hat man inzwischen wahrgenommen, welch verheerendes Echo die Krawalle in der übrigen Republik und im Ausland ausgelöst haben. Sprecher der Stadt fürchten nun einen „irreperablen Imageschaden“ — die Ostseestadt ist angesichts der fortschreitenden Deindustrialisierung schon jetzt stark auf Touristen angewiesen.

Im Rathaus machen sich Politiker außerdem Sorgen, ob Rostock angesichts der andauernden Auseinandersetzungen im Jahre 2000 noch eine Chance hat, Olympia mit auszurichten, wenn Berlin den Zuschlag vom IOC erhalten sollte. In der Hansestadt sollten in diesem Fall Wassersportwettbewerbe ausgerichtet werden.

Im Stadtteil Lichtenhagen blieb es am Donnerstag abend verhältnismäßig ruhig, nur 100 zumeist angetrunkene Jugendliche zogen durch den Stadtteil, um sich mit der Polizei anzulegen. 14 Personen wurden festgenommen. Rechte Skinheads oder Neonazis traten nicht öffentlich in Erscheinung. Offenbar sparen sie ihre Kräfte für das Wochenende: Die Polizei rechnet heute wieder mit größeren Auseinandersetzungen in Lichtenhagen. Gleichzeitig wird ab 14Uhr in der Innenstadt eine antirassistische Demonstration beginnen, zu der bundesweit aufgerufen worden war. Die Veranstalter rechnen mit mehreren tausend Teilnehmern.

Polizei und Senat fürchten nun, daß sich Autonome und Skinheads Straßenschlachten liefern. Das Einsatzkonzept der Polizei sieht deshalb vor, „beide Gruppen gar nicht erst aufeinanderprallen zu lassen“, wie ein Sprecher erklärte. Außerdem will die Polizei, die mit über 2.000 Beamten in Rostock vertreten sein wird, massenhaft Kontrollen vornehmen und beispielsweise Autos nach Waffen durchsuchen. Der Einsatz der Polizei wird von Hans-Heinrich Heinsen geleitet, der auch für Einsätze bei Anti-AKW-Demos in Brokdorf verantwortlich war. Heinsen ist Inspekteur der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern.

Einen Bericht der Bild-Zeitung, nach dem sich Skinheads bei russischen Soldaten mit Raketenzündern versorgt haben sollen, hat die Rostocker Polizei gegenüber der taz dementiert.

„Darüber liegen uns überhaupt keine Erkenntnisse vor.“ Das Boulevardblatt hatte sich auf den Polizeichef der Hansestadt, Dieter Hempel, berufen. „Herr Hempel hat gar nicht mit denen gesprochen, die wollen das offenbar anheizen!“, meinte ein Polizeipressesprecher.