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West-Neonazis als Trittbrettfahrer

Seit Jahren suchen Neonazis aus den alten Bundesländern Kameraden im ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaat  ■ Aus Berlin Plutonia Plarre

Die Vermutung, daß neonazistische Organisationen aus Westdeutschland versucht haben, im Zuge der Rostocker Ausschreitungen bei den Rechtextremisten aus Mecklenburg Vorpommern Fuß zu fassen, bestätigt sich immer mehr. In der fünften Krawallnacht von Mittwoch auf Donnerstag haben Mitglieder des neonazistischen Ermittlungsausschusses „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG) in Rostock Flugblätter verteilt, in denen festgenommenen „Kameraden aus dem nationalen Widerstand“ Rechtshilfe und die Vermittlung von Rechtsanwälten angeboten wird. Das Flugblatt „Verhaftet und kriminalisiert — was nun?“ gleicht optisch aufs Haar dem Aufruf des Ermittlungsausschusses autonomer Gruppen. Im Text heißt es: „Kommt es zu Bürgerprotesten und Aktionen wie jetzt in Rostock-Lichtenhagen, versucht die Polizei durch Massenverhaftungen die Empörung in den Griff zu kriegen“. Da durch die Verhaftungen „Angst gegen uns alle“ geschürt werden soll, sei es wichtig, den „betroffenen Kameraden solidarisch zu helfen“. Die „Kameraden“ werden aufgefordert, sich unter einer bestimmten Bremer Postfach- oder Telefaxnummer zu melden und keine Aussagen bei Polizei oder Staatsanwaltschaft zu machen.

Für den Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, Ernst Uhrlau, ist das Flugblatt ein „weiteres Mosaiksteinchen“ dafür, daß sich „die klassischen neonazistischen Organisationen“ der alten Bundesländer in Rostock als „Trittbrettfahrer“ zu betätigen suchen. Die HNG ist dem Bundesamt für Verfassungschutz seit 1979 bekannt. Laut Uhrlau besteht zwischen der HNG und der neonazistischen Organisation FAP eine enge Verbindung. Daß das HNG- Flugblatt erst in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag aufgetaucht ist, spricht für den Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes dafür, daß die Rostocker Ausschreitungen in den ersten Nächten von „ausländerfeindlichen Gruppen“ aus Mecklenburg-Vorpommern „hausgemacht“ gewesen seien. Erst in den folgenden Nächten seien „die vollkommen überraschten“ Neonazis aus den alten Bundesländern in Rostock aufgetaucht, um dort Kontakte zu knüpfen. Auch der Führer der Nationalen Liste Christian Worch aus Hamburg sei keineswegs, wie behauptet, bereits in der Nacht von Sonntag auf Montag in Rostock gewesen. Auf die Frage, ob Worch in der dritten Krawallnacht aufgekreuzt ist, sagte Uhrlau: „Ich kann dies weder bestätigen noch dementieren“. Also war Worch da.

Nach Angaben des Hamburger Verfassungsschutzleiters versucht die neonazistische Szene der alten Bundesländer schon seit langem vergeblich, bei den gleichgesinnten Gruppen in den neuen Bundesländern Fuß zu fassen. Als Grund nannte Uhrlau, daß die Neonazis im Osten „sehr eigenständig und kampferprobt“ seien und sich „nicht so ohne weiteres vereinnahmen“ ließen. Sie beharrten auf ihrer aus DDR-Zeiten überlieferten „eigenen Struktur“ und darauf, daß sie „zu Hause eigene Probleme“ hätten.

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