: Konferenzerfolg ohne Konsequenzen
■ 13 Grundsätze zur Beendigung des Bürgerkrieges in Ex-Jugoslawien sind das Ergebnis der dreitägigen Konferenz in London. Würden sie verwirklicht, könnte man die belagerten Städte Bosniens retten...
Konferenzerfolg ohne Konsequenzen 13 Grundsätze zur Beendigung des Bürgerkrieges in Ex-Jugoslawien sind das Ergebnis der dreitägigen Konferenz in London. Würden sie verwirklicht, könnte man die belagerten Städte Bosniens retten. Ungelöst bleibt jedoch die Frage: Wer garantiert ihre Durchsetzung?
Das Maßnahmenbündel und die organisatorischen Schritte, die am Donnerstag abend in London beschlossen wurden, sind überraschend präzise — und sie fanden die Zustimmung der serbischen Seite. Bei den „Spezifischen Entscheidungen“, dem Kernstück des Übereinkommens, gibt es nur den berühmten Haken: Wer garantiert die Durchsetzung? Diplomaten gaben gestern die stereotype Antwort: Serbien und Montenegro stehen am Scheideweg. Entweder zurück nach Europa oder Isolation und Armut. Wie glaubwürdig ist diese Drohung?
Am Donnerstag nachmittag eröffnete der bosnische Serbenchef Karadzic einer verblüfften Zuhörerschaft, die serbische Seite werde binnen vier Tagen der UNO die Standorte ihres schweren Geschützes in Sarajevo, Bihac, Goradze und Jajce mitteilen und sie danach der UNO- Kontrolle unterstellen. Ab sofort werde die serbische Artillerie nicht mehr von sich aus das Feuer eröffnen. Alle Internierungslager würden umgehend aufgelöst. Außerdem würden die Serben auf 20 Prozent des von ihm gehaltenen Gebiets verzichten. Karadzic' Statement, garniert mit dreisten Behauptungen, wonach die Bombardierung von Sarajevo das Werk der Moslems sei, wurden schriftlich fixiert und dem britischen Außenminister überreicht. Erst danach kehrte die Regierung von Bosnien-Herzegowina an den Verhandlungstisch zurück.
Schweren Herzens akzeptierte Karadzic auch die Bosnien-Resolution der Londoner Konferenz, die keine Täter benennt, aber eindeutig an die serbisch-bosnische Seite gerichtet ist. Zusammengenommen mit den auf Bosnien bezogenen Absätzen der „Spezifischen Entscheidungen“ ergibt sich ein Maßnahmenkatalog, der, würde er verwirklicht, den Einschließungsring um Sarajevo und andere bosnische Städte aufheben könnte; herausragend das Verbot von Militärflügen, die Identifizierung der Hauptquartiere aller Truppen einschließlich der paramilitärischen und die Entmilitarisierung großer Städte. Die Bosnien-Resolution empfiehlt dem Sicherheitsrat der UNO, einen Ratsbeschluß zu fassen, nach dem „peace-keeping“-Truppen in Bosnien stationiert werden sollen. Deren Aufgabe wäre es, den Waffenstillstand und militärische Bewegungen in Bosnien zu überwachen.
Kann das den Menschen in Bosnien-Herzegowina helfen? Die Dokumente fordern zwar für die Flüchtlinge das Recht auf gesicherte Rückkehr. Aber sie fordern nicht eindeutig, daß das von Serben besetzte Land herausgegeben werden muß. Welche Funktion sollen die Blauhelme in Bosnien-Herzegowina haben? Barbara McDougall, die streitbare kanadische Außenministerin, will ihnen das Recht geben, die Wiedereröffnung von Verkehrswegen zu erzwingen. Sollen sie auch die Möglichkeit haben, die von ihnen bewachten schweren Geschütze gegen Überfälle zu verteidigen? Und vor allem: Wird es sie überhaupt geben? Der UNO-Generalsekretär Ghali zeigte sich am Donnerstag abend optimistisch. Er habe bereits Zusagen.
Keiner der genannten Forderungen und Beschlüsse ist neu. Neu ist die Selbstverpflichtung der serbisch- bosnischen und der serbisch-jugoslawischen Seite, sie einzuhalten. Neu ist die exakte Terminierung und Stufenfolge. Wie steht es also mit dem Willen der „Serben“, sich entsprechend zu verhalten? Ohne die Unterstützung Serbiens ist Karadzic letztlich nicht aktionsfähig. Alles konzentrierte sich daher in London auf das Verhältnis der beiden Hauptprotagonisten — Panic und Milosevic. Deren gegenseitiges Mißtrauen war noch in den unbedeutendsten Bemerkungen offenkundig. Aber allzu deutlich war auch die Arbeitsteilung zwischen beiden. Panic, der um das Vertrauen des Westens werbende Geschäftsmann, Milosevic, der Wahrer serbischer „Identität“. Panic hatte gegen die Resolutionen der Konferenz zwei überaus bezeichnende Einwände: Er wendete sich gegen die Aufrechterhaltung, erst recht gegen die Verschärfung der Embargoaktionen und er wies die Idee eines internationalen Gerichtshofes zurück. Das heißt, er argumentierte gegen das einzige dünne Druckmittel, das die in London versammelten Staaten in Gestalt ökonomischer Sanktionen zur Hand haben.
Und was passiert, wenn die Serben der selbsternannten Republik Kraina sich an Rumpf-Jugoslawien anzuschließen wünschen? Wird Panic dann sein heiliges Versprechen halten, wonach er alle Nachfolgerepubliken in den Grenzen anerkennt, die zur Zeit Titos galten?
Eine Antwort versucht die Londoner Konferenz mit ihrem „work- programme“ zu geben. Sie heißt Verständigung, laufende Kontrolle, Zugzwang. Die Konferenz wird sich ein Leitungsgremium geben, bestehend aus Vertretern der UNO, der KSZE, der EG, der Anrainerländer und der islamischen Konferenz. Sechs Arbeitsgruppen sollen gebildet werden, die die Einhaltung aller Verpflichtungen überwachen und offene Fragen der Staatennachfolge zu klären haben. Die Vorsitzenden des Lenkungsausschusses, Cyrus Vance für die UNO und David Owen für die EG, haben das Recht, jederzeit eine Vollversammlung der Londoner Konferenz einzuberufen. Mit dieser „Vernetzung“ soll der serbischen Seite die Möglichkeit genommen werden, zwischen den Institutionen zu manövrieren. Andererseits wird Panic und Milosevic die Tür zur Rückkehr offengelassen — sind sie doch Partner des Prozesses. Auf Butros Ghali, der das Konferenz-in- Permanenz-Projekt vorstellte, geht im übrigen das Scheitern der ursprünglich vorgesehenen Serbien- Resolution zurück. Ghali glaubt, jetzt endlich einen tauglichen institutionellen Rahmen für Verhandeln und Druckausüben gefunden zu haben. Aber gerade hier bleiben Zweifel. Laufen die Organisationsbeschlüsse der Londoner Konferenz nicht auf eine Verdopplung und Verdreifachung dessen hinaus, was bereits in Brüssel und Helsinki festgelegt wurde? Diplomatische Selbstbeschäftigung statt Effizienz?
Alija Izetbegovic wird es schwer haben, das Ergebnis von London seinen gequälten Landsleuten als Erfolg darzustellen. Christion Semler, London
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