Giftmüll-Konzept in Gefahr

■ Hochgiftige Dioxinfunde bringen rot-grüne Landesregierung in Schwierigkeiten

„Die Stillegung der Giftmüll Deponie in Hoheneggelsen kommt zur Zeit nicht in Frage“, sagt Wolfgang Jüttner, Umweltexperte der SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag. Vor wenigen Monaten erst hat die rot- grüne Koalition in Hannover ein richtungsweisendes Entworgungskonzept für Giftmüll vorgestellt — jetzt wackelt der Eckpfeiler. Kürzlich wurde hochgiftiges Dioxin in unmittelbarer Nähe der einzigen staatseigenen Deponie in Niedersachsen entdeckt.

Auf welchen Wegen das Dioxin in die Umwelt gelangen konnte, ist bislang ungeklärt. Eventuell wurde giftiger Staub aus den offenen Ablagerungs- Gruben auf die umliegenden Felder geweht. Schon seit 1972 dient Hoheneggelsen bei Hildesheim als Kloake für die Rückstände der norddeutschen Industrie. Alle Arten von Säuren, Giften und Chemikalien wurden bunt durcheinander in riesige Tonkuhlen gekippt.

Die dioxinhaltigen Bodenproben stammen von Rübenäckern, die als Erweiterungs-Flächen für die Deponie gedacht sind und direkt an die Altablagerungen angrenzen. Untersucht wurden die Äcker im Rahmen einer Umweltverträglichkeits-Prüfung für den Ausbau der Deponie. Die ermittelten Dioxin-Konzentrationen liegen zumeist zwischen 3.9 und 10 Nanogramm pro Kilogramm Erdreich (ein Nanogramm gleich ein Milliardstel Gramm): Ein Ausreißer macht der Landesregierung jedoch besonders Sorgen: In einer Probe ergab die chemische Analyse 48 Nanogramm.

Über die Gefährlichkeit dieser Gift-Konzentration streiten sich die Experten noch. Seit dem Dioxin-Unfall im italienischen Seveso im Jahre 1976 ist die grundsätzliche Gefahr zwar bekannt, doch unklar ist, ab welcher Konzentration mit Gesundheitsschäden zu rechnen ist. Grenzwerte für Dioxin gibt es in Deutschland nicht. Eine Empfehlung des Bundesgesuntheitsamtes (BGA) lautet: Bei über 40 Nanogramm pro Kilogramm Erdreich soll die landwirtschaftliche Nutzung eingeschränkt werden. Demnach dürften die Rüben vom Acker in Hoheneggelsen nicht mehr unkontrolliert zu Viehfutter oder Zucker verarbeitet werden.

Das will das niedersächsische Landwirtschafts-Ministerium in Hannover auch nicht zulassen. „Wir haben alles unter Kontrolle“, so Pressesprecher Hans- Dieter Rosinke. Wenn die Zuckerrüben im September reif sind, sollen sie auf Dioxin getestet werden. Weisen sie eine Belastung über 5 Nanogramm pro Kilogramm auf, müsse darüber nachgedacht werden, ob die Feldfrüchte noch weiterverarbeitet werden dürfen, erläutert der zuständige Ministeriums-Mitarbeiter Christian Grugel.

Dioxinfunde stärken Bürgerinitiative

Derartige Untersuchungen forderte die Bürgerinitiative Hoheneggelsen bereits vor anderthalb Jahren — ohne Erfolg. Im Rahmen der Umweltverträglichkeits- Prüfung wurde der Boden rund um die Deponie auf viele Chemikalien untersucht, auf Dioxine aber erst im Frühjahr 1992. „Die Behörden fürchten Dioxin wie der Teufel das Weihwasser“, weiß Michael Lorke, Sprecher der Initiative und stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde. Seit Jahren schon kämpft die Initiative gegen die Giftkippe und kann jetzt — mit den problematischen Funden „im Rücken“ — den Stop der Erweiterung und die Schließung der Anlage fordern.

Damit trifft die streitbare Initiative, die aufgrund ihres Engagements als Wahlliste in den Gemeinderat gewählt wurde, den Abfall-Nerv der rot-grünen Koalition. „An die Schließung der Deponie denkt zum jetzigen Zeitpunkt niemand“, weist Barbara Mussak, Sprecherin des Umweltministeriums, die Forderung zurück. Zur Zeit würden weitere Proben genommen, ohne die sich die Gefährdung nicht abschätzen lasse. Im übrigen gebe es in ganz Niedersachsen keinen geeigneteren Standort als Hoheneggelsen. Die schützende Tonschicht im Untergrund der Deponie hat eine Stärke von 180 Metern. Oft weist die Landesregierung auch daraufhin, daß auf den Erweiterungsflächen in Zukunft nach einem neuen und sicheren Verfahren abgelagert werden soll. Geplant sind betonierte und überdachte „Ringschächte“: in den Ton gesenkte Zylinder mit 50 Meter Durchmesser und 65 Meter Tiefe. Diese Konstruktion soll verhindern, daß Gift austritt.

Muß Griefahn weiter Gift exportieren?

Falls sich die Erweiterung von Hoheneggelsen verzögert, weil vorher dioxinverseuchte Flächen saniert werden müssen, kommt Niedersachsens Umweltministerin Monika Griefahn in große Schwierigkeiten. Denn sie braucht die Deponie für ihr Giftmüll-Konzept. Bis zu 80.000 Tonnen pro Jahr sollen ab 1994/95 dort eingelagert werden. Weitere Standbeine der rot-grünen Giftmüll-Politik sind die Verbrennung in modernen Anlagen und die Reduzierung des Abfall- Aufkommens. Griefahn plant, die niedersächsische Giftmüll- Menge bis 1997 von heute 1,8 Millionnen Tonnen auf 1,3 Millionen Tonnen zu reduzieren. Damit sollen auch die Gift-Exporte überflüssig werden. Heute verlassen riesige Mengen das Bundesland: etwa 800.000 Tonnen pro Jahr. Die Gifttransporte rollen nach Frankreich, Belgien, Rumänien oder auch zur Deponie Schöneberg in Mecklenburg- Vorpommern. Hannes Koch