: „Polo ist der Sinn des Lebens“
Wohl zum letzten Mal vor dem Abzug der Briten aus der Hauptstadt organisierte die Rhine Army Polo Association (RAPA) ein internationales Poloturnier auf dem Berliner Maifeld. ■ Aus Berlin Michaela Schießl
Man nehme acht Menschen, acht Pferde, acht Stöcke und einen Ball, mische alles schön durcheinander, füge einen gehörigen Schuß Tradition hinzu, hundert Tropfen Schweiß, drei blaue Flecke, eine Messerspitze Ettikette, ein Stück englischen Rasen und mindestens drei gehäufte Schöpflöffel Gold — schon ist es fertig, das Leibgericht der High-Society: Polo. Zusätzlich hat das Spiel auch noch einen edlen Stammbaum aufzuweisen: In Altpersien, dem Ursprungsland von Polo, war es das „Spiel der Könige“ und hatte erheblichen Einfluß auf die Staatsführung mancher Völker.
Kein Wunder also, daß besonders die Briten diesem Sport verfallen sind. Selbst der berühmteste Sporthasser der Welt, Sir Winston Churchill („no sports“), kapitulierte angesichts dieser geballten Ladung englischer Tugenden: „Polo ist der wahre Sinn des Lebens“, soll er angeblich gesagt haben. Muß wohl in seiner Jugend gewesen sein.
1859 entdeckten britische Offiziere in Manipur das Polospiel. Wenige Stunden später verfaßte Oberst Steward das Regelwerk und gründete einen Poloclub. Seither gibt es überall, wo sich britische Militärs zusammenrotten, einen solchen. Auch in Berlin: Unmittelbar nach der Befreiung der Stadt 1945 taten sich britische Soldaten zur „Rhine Army Polo Association“ (RAPA) zusammen. Kaum war der letzte Schuß verhallt, rollte die Polokugel.
Und sie rollt noch: Am vergangenen Wochenende richtete die RAPA das Internationale Poloturnier 1992 auf dem Berliner Maifeld aus. Zum letzten Mal wahrscheinlich, denn mit den Briten wird auch ihr Klub abziehen. Doch von Wehmut war auf der schönsten Poloanlage der Welt wenig zu spüren. Während im benachbarten Olympiastadion die Hertha- Fans und im fettigen Dunst Thüringer Bratwürste den 4:2-Sieg gegen Oldenburg feierten, herrschte hundert Meter weiter heitere Gelassenheit mit Sekt und Cappucino.
Zwölf Teams aus Deutschland und Großbritannien trafen sich auf der olympischen Anlage von 1936 zum „crazy golf“, wie der Brite sagt. Doch gentlemenlike geht es nur am Rand zu. „Möchtest du ein Glas Champagner, mein Liebes, ich hol es sofort, halte nur kurz den Dalmatiner.“ Alsdann flaniert man das Feld entlang, vorbei am Jaguar E und hoch ins VIP-Zelt.
Doch kaum steigt der Galan aufs Pferd, ist Schluß mit Edelmut. Wie eine Horde Hunnen donnern die aus je vier Spielern bestehenden Teams über das 270 Meter lange und 180 Meter breite Feld — fluchen, rempeln, rammen und schwingen und fuchteln bedrohlichst mit dem Schläger.
Dabei sei alles ganz harmlos, sagt das Regelwerk. Tatsächlich ist das Wegerecht genau definiert: Weg abschneiden gilt ebensowenig wie Sperren ohne Ball. Erlaubt ist hingegen das „Abreiten“, ein vornehmer Ausdruck, der mit „Body-Check“ zu übersetzen ist. Ein Spieler wirft sich mit Schulter und Pony auf den ballführenden Gegner. Vorgetragen wird diese gewalttätige Aktion meist im vollen Gallopp. Noch halsbrecherischer wird es, wenn sich Reiter aus mehreren Richtungen dem Ball nähern. Nicht selten endet ein schwungvoller Schlag auf Ponys bandagiertem Knochen oder Spielers gepolsterter Kniescheibe.
Doch die Poloponies, allesamt Argentinische Vollblüter und im Land des Polos gezogen, sind hart im nehmen. Jedes normalsozialisierte Pferd würde angesichts eines massiven Stocks wohlweislich auf und davonrennen, und Dinge, die auf dem Boden rumrollen, können eigentlich nur Schlangen sein, was mit sofortigem Scheuen und panikartiger Flucht beantwortet wird. Doch Poloponies wachsen auf mit Ball und Stick. Bereits mit zwei Jahren werden sie von Kindern angelernt. Nach einigen Jahren läuft ein gutes Polopony allein dem Ball hinterher. „Sie bringen einen automatisch in die richtige Schußposition“, bestätigt Hans-Jochen Riese, Präsident des Berliner Polo-Klubs.
Pro Spiel verbraucht jeder Reiter vier Ponies, eins für jedes „Chukka“. Ein Chukka dauert siebeneinhalb Minuten. Siebeneinhalb Minuten aus vollem Gallopp in den Stand, 180 Grad Drehung um die Hinterbeine, Bodycheck mit dem Nachbarpony, und wieder los in vollem Tempo, da ist das beste Pony aus der Puste. Zirka 9.000 Mal kann ein Polopony aus vollem Gallop zum Stand gebremst werden, dann sind die Gelenke — zumindest für Polo — unbrauchbar. Immerhin hält eins dieser 15.000 bis 40.000 Mark teuren Tiere zehn Jahre.
Weiß vor aufgeschäumtem Schweiß kommen sie vom Spielfeld, werden grußlos einer Pflegerin übergeben, der Reiter springt aufs nächste Pony und weiter gehts — nur drei Minuten Pause liegen zwischen den Chukkas. Der Pferdewechsel wirkt etwas herzlos, doch Riese beteuert: „Die Beziehung zwischen Pferd und Reiter sind innig. Ein Polopony kann man nicht zwingen. Wenn sich Pferd und Reiter nicht verstehen, läuft nichts.“ Doch allzuviel Zeit für vertrauensbildende Maßnahmen scheint es nicht zu geben. Die meisten deutschen Polospieler sind berufstätig. Wirtschaftsjurist Riese: „Ich komme viel zu selten zum trainieren, höchstens dreimal pro Woche“.
So halten zwei Bereiter die Ponies des Gebo-Teams in Schuß. Einer ist der argentinische Professional Bagnardi, Spieler und Trainer zugleich. Mit Handicap fünf ist er der weitaus beste Gebo-Player.
Das Handicap, maximal zehn, bezeichnet die Spielstärke eines Spielers. Beim „Medium Goal“ darf das Gesamt-Teamhandicap, das sich aus den Einzelhandicaps addiert, acht nicht überschreiten. Spielt Bagnardi, dürfen die drei anderen zusammen bestenfalls drei Handicaps wert sein. Festgelegt werden die Werte einmal im Jahr vom Polo-Verband.
Auffallend an dem Soldatensport Polo ist die überraschende Tatsache, daß auch Frauen mitspielen dürfen. „Viele sind wir nicht“, sagt Alma Mehnert (32), die ebenfalls für das Gebo-Team den Stick schwingt. „Doch in Wahrheit sehen es die Männer nicht allzu gerne, wenn Frauen mitspielen.“ Sie selbst sollte vor dem Turnier in eine schwächere Mannschaft, den Low-Goalern von Alt Potsdam, abgeschoben werden. Sie setzte sich durch, spielte bei Gebo und schoß kurzerhand ein Tor. „Grundsätzlich spiele ich aber lieber ,low goal‘“, sagt die Immobilienmaklerin. „Das ist weniger brutal. Hier kommt man raus und ist voller blauer Flecke. Und ganz brutal will ich nicht reingehen, ich habe immerhin eine Tochter daheim.“ Ihre männlichen Pendants hingegen spielen, als kennen sie keine Verwandten. Riese: „Beim Polo kommt alles zusammen: Pferde, das Spiel, ein Ball. Es ist der Spieltrieb, der uns mitreißt.“
So wirkt es seltsam, wie wenig den edlen Polomann, plötzlich vom Herthanern gegenüber unterscheidet. „Los, geh ran, ja, jahhhhh, gib's ihm, Tooooor!“, brüllt Riese.
Und wir wissen einmal mehr: Wo Bälle sind, sind Männer unberechenbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen