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„No Passport, nix Asyl!“

Beobachtungen eines Dokumentarfilmteams in einem westdeutschen Aufnahmelager für Asylbewerber/ Ein hoher Zaun soll die Flüchtlinge daran hindern zu flüchten, wenn sie nach Sachsen oder Thüringen sollen  ■ VON RÜDIGER HEINS

Mittwoch, 30.Januar. Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber in Ingelheim. Außerhalb der Stadt, inmitten von Obstfeldern, Brachland und einer Baustelle für Straßenarbeiten, liegen die Gebäude des Sammellagers für Flüchtlinge. Die Zentrale Anlaufstelle, ZAST genannt, bietet etwa 1.800 Asylbewerbern Unterkunft. Der hohe Zaun, der das Gelände umgibt, ist so konstruiert, daß man ihn vom Lager aus nicht übersteigen kann. „Damit uns die Asylanten nicht abhauen, wenn Transporte nach Thüringen und Sachsen gehen“, erklärt ein Wachmann.

Das Eingangstor ist elektronisch gesichert. Fußgänger müssen eine Drehtür passieren, die streng bewacht wird und nur vom Wachpersonal mit einem Knopfdruck geöffnet werden kann. Nach Auskunft von ZAST-Mitarbeitern hat der derzeitige Lagerleiter Syko den Zaun errichten lassen. Er hat Erfahrung im „Abschirmen von Menschen“, denn bevor er die Leitung der ZAST übernahm, war er Beamter in der Justizvollzugsanstalt Diez, einem Gefängnis, in dem Straftäter langjährige Haftstrafen absitzen.

„Willst du hier schlafen oder willst du nur Geld?“

Die ZAST Ingelheim ist die erste Adresse für Flüchtlinge, die in Rheinland-Pfalz eintreffen. Bereits nach wenigen Tagen werden die Asylbewerber in andere Sammelunterkünfte, in sogenannte Außenlager gebracht. Dort beginnt dann ein langes und zermürbendes Warten auf den Bescheid über die Anerkennung des Asylverfahrens. Täglich melden sich unzählige Familien und Alleinstehende in der ZAST. Oft ist das Lager überfüllt. Wachmannschaften, Pförtner und andere Mitarbeiter reagieren gereizt auf die vielen Flüchtlinge. Die Beamtin der Ausländerbehörde, die an der Pforte sitzt, ist nur ein Beispiel von vielen, wie man mit Asylbewerbern in der ZAST umgeht: „Was willst du hier? Willst du Geld? Willst du hier schlafen? Oder willst du hier Urlaub machen?“

Die meisten AsylbewerberInnen verstehen kein Deutsch. Deshalb können sie auf ihre Fragen keine Antwort geben. Dabei will diese Beamtin nur den einen Satz von ihnen hören: „Ich möchte politisches Asyl!“ Wer diesen Satz nicht sagen kann, wird weggeschickt oder muß warten, bis er aus unerklärlichen Gründen doch noch aufgenommen wird.

Schwarze Sheriffs patrouillieren mit Gummiknüppeln durch das Lagergelände. Beamte der Ausländerpolizei tragen Schußwaffen am Gürtel. Ohne gültigen Hausausweis darf kein Flüchtling die ZAST betreten. Besucher werden überprüft und nur dann reingelassen, wenn sie ihren Ausweis an der Pforte hinterlegen. Neuangekommene Asylbewerber müssen oft stundenlang unter freiem Himmel vor dem Tor warten, bis die für Außenstehende undurchschaubaren Formalitäten abgeschlossen sind. Wenn es friert, wenn es regnet, wenn es schneit, wenn die Sonne brennt, wenn es gewittert. Selbst bei Schwangeren, Säuglingen und Kleinkindern machen die Pförtner keine Ausnahme. Sie müssen auf offener Straße warten.

Dienstag, 17.März. Vor dem Tor wieder großer Menschenandrang. Ein Ehepaar mit einem 15 Monate alten Säugling spricht mich an. Sie kommen aus Mazedonien (ehemals Jugoslawien) und haben weder etwas zu essen noch Geld bei sich. Es ist 14 Uhr. Die Fetahis warten bereits seit fünf Stunden an der Pforte. Ihre Bitte, doch wenigstens etwas Babynahrung zu bekommen, wird vom Wachpersonal abgelehnt. Einer der Pförtner sagt, für die Austeilung von Babynahrung sei er nicht kompetent; er verweist auf den Sozialdienst, der in der ZAST Ingelheim sein Büro hat. Auch der zuständige Sozialarbeiter fühlt sich nicht für die Essenausgabe verantwortlich: „Die müssen halt warten, bis sie ihre Essenmarken bekommen. Vorher läuft da gar nichts!“ Die Frage, wie lange das noch dauern könne, beantwortet er mit Schulterzucken. Seit einer Woche sind die Fetahis bereits unterwegs. Ein Schlepper hat sie für 3.000 Mark auf der Ladefläche seines Lastwagens in die Bundesrepublik geschmuggelt. Papiere besitzen die Fetahis nicht: die zuständige Behörde in Mazedonien hat sie einbehalten.

Zehn Stunden warten auf Brei und Essenmarken

19 Uhr. Die Fetahis haben endlich einen Schlafplatz im Lager bekommen. Bis zu diesem Zeitpunkt standen sie draußen in der Kälte.

22 Uhr. Eine Gruppe von Asylbewerbern kommt zum Tor. Sie rufen: „We are hungry! We are hungry!“ Die Fetahis haben auch noch kein Essen bekommen. Erst als die Gruppe der Asylbewerber vehement auf Essen besteht, werden von der Wachmannschaft Lunchpakete verteilt.

Am nächsten Morgen. Die Fetahis kommen auf Transfer, das heißt, man bringt sie in eine Außenstelle. Auf einem kleinen Zettel steht, daß sie nach Pirmasens verlegt werden sollen. Sie müssen mit rund hundert anderen Flüchtlingen in einem großen Warteraum warten, bis man sie aufruft, in den Bus zu gehen. Während dieser Zeit wird der Warteraum — eine ehemalige Turnhalle — von zwei Wächtern bewacht. Niemand darf den Raum verlassen. Dann kommen zwei Wachmänner in den Saal und rufen die Namen derjenigen auf, die auf Transfer gehen.

„Pack' deine Familie und mach' dich raus!“

Der alltägliche Umgangston mit Asylbewerbern in der ZAST Ingelheim klingt so:

Wachmann (schreiend): „Fu! Ja, auf! Pack' deine Familie zusammen, und mach' dich raus! Der ist mir gestern schon auf den Beutel gegangen, der Fu, der Fu Man Tschu.

Knujeng, ja, bist du da oder bist du nicht da? Gib mal ein Ja oder ein Nein.

Und War? Ist der da?

Titu, Bagage und...

Titang Ju Eng, ja, Bagage und raus!

Salua! Bagage und raus!

Fung! (Ruhe)

Jamtsch!

Tschemak! Dann melde dich doch, du stehst doch da? Ich werde noch wahnsinnig!

Soala oder Snala? Auch nicht da? Gut.

Engujen! Engujen! Nicht da, schön, um so besser (lacht).

Jamatsch! Was für ein Matsch? Auch nicht da. Das ist ja geil, das baut mich ja richtig auf!“

Handgreiflichkeiten von Mitarbeitern gegenüber den Flüchtlingen kamen in der Vergangenheit auch schon mal vor. Eine wurde zur Anzeige gebracht. Doch die meisten Übergriffe sind nicht aktenkundig, weil Betroffene aus Angst, den Anspruch auf Asyl zu verlieren, keine Aussage machen wollen, wie beispielsweise im Falle einer Vergewaltigung einer Flüchtlingsfrau durch einen ZAST-Mitarbeiter.

Ich wollte wissen, ob an dem Gerücht etwas dran ist. Heinz Schmitthenner, Mitarbeiter der Humanitären Hilfe, sagt: „Die Frau war nicht bereit, vor der Polizei auszusagen. Und dann kann man natürlich auch nicht weitergehen. Ich habe davon gehört, ich hoffe, daß es nicht wahr ist, was ich davon gehört habe!“

Margit Reuter ist Sozialarbeiterin in der Beratungsstelle für AsylbewerberInnen des Diakonischen Werkes. Es scheint, als wisse sie etwas mehr über die angebliche Vergewaltigung. „Ich kann sagen, daß es die eine oder andere Flüchtlingsfrau gegeben hat, die von solchen Erlebnissen erzählt hat. Aber aus Angst vor Asylverfahren ist es bisher nicht gelungen, diese Frauen zu einer Aussage zu bringen, weil sie fürchten, dann ausgewiesen zu werden.“

19. März. Fünfter Drehtag Ingelheim. Anruf von Femi Fetahi. Er teilt mir mit, daß er und seine Familie in ein Sammellager nach Pirmasens gebracht wurden. An diesem Tag geht ein weiterer Flüchtlingstransport nach Chemnitz. Die Stimmung im Lager ist gereizt. Polizisten in Uniform und bewaffnete Beamte der Ausländerpolizei dominieren im Hof der ZAST. Unter den Flüchtlingen hat es sich herumgesprochen, daß es ihnen in den neuen Bundesländern nicht gut gehen wird. Viele haben Angst vor der Ausländerfeindlichkeit, vor den schlechten Unterkünften dort. Ein junger Afrikaner weigert sich, den Bus nach Chemnitz zu betreten. Es kommt zu einem Handgemenge mit ihm und der Polizei. Mit Gewalt bringt man ihn in den Bus. Ein älterer Polizist unterhält sich mit einem Kollegen: „Das wäre ja noch mal schöner, wenn die hier jetzt auch noch Forderungen stellen wollten. Und das unter den Augen der Polizei!“ Ein jüngerer Kollege geht mit einem Gummiknüppel durch den Bus. Als er aussteigt, sagt er: „Die sind gleich ruhiger geworden, als die den Gummiknüppel gesehen haben.“

Viele Flüchtlinge haben Angst vor dem Osten

Mittwoch, 25. März. Pirmasens, achter Drehtag. Die Fetahis sind mit rund hundert anderen Flüchtlingen in einer stillgelegten Schuhfabrik untergebracht. Wir finden sie im ersten Stockwerk in einer umfunktionierten Fabrikationshalle. Notdürftig wurden dort einzelne Wohnkabinen mit Spanplatten errichtet. Zimmerdecken gibt es in den rund drei mal drei Meter großen Wohnkabinen nicht. Die Eingänge zu den Holzverschlägen wurden mit Wolldecken verhängt. Wir können uns nicht im normalen Ton unterhalten. Die Geräuschkulisse der anderen Mitbewohner ist so laut, daß wir uns zeitweise nicht verstehen. Fließendes Wasser gibt es in diesem Gebäude nicht. Im Freien wurden notdürftig Sanitärcontainer mit Duschen, Waschbecken und Toiletten installiert. Männer begleiten ihre Frauen zum Duschen, aus Angst, sie könnten sexuell belästigt werden. Eigenes Licht ist in diesen Bretterverschlägen ebenfalls nicht vorhanden. Es gibt nur eine zentrale Neonbeleuchtung, die allerdings bereits gegen 18 Uhr abgeschaltet wird. Die Notbeleuchtung wird um Mitternacht von der Nachtwache ausgeschaltet, berichten uns die Fetahis. Ihr Säugling ist seit Tagen krank, liegt apathisch im Bett und nimmt keine Nahrung zu sich. Frau Fetahi klagt über ständige Kopfschmerzen, auch sie nimmt keine Nahrung mehr zu sich: „Das ist nicht gut hier“, meint Femi Fetahi, „die Atmosphäre ist schlecht, und morgens stinkt es hier wie in einer Toilette!“

Mainz, siebter Drehtag. Im Zollhafen liegen zwei Rheinschiffe — ehemalige Unterkunftsschiffe der Nationalen Volksarmee der DDR, die das Rote Kreuz von einer Reederei angemietet hat, um dort Asylbewerber unterzubringen. Auch hier haben wir keine Dreherlaubnis. Das macht uns skeptisch. Der zuständige Geschäftsführer des Roten Kreuzes, Wilmer, ist aber dennoch zu einem Interview bereit: „Auf beiden Rheinschiffen leben gut 300 Flüchtlinge. Die Flüchtlinge leben nicht in Kajüten, sondern in richtigen Zimmern. Wir achten darauf, daß ausgeglichene Kost angeboten wird, die vitaminreich ist. Das läuft wohl mit dem Essen, es gibt keine Probleme!“

Bei den Außenaufnahmen vor dem Rheinschiff werden wir von einem Mitarbeiter des Roten Kreuzes darauf aufmerksam gemacht, daß wir keine Dreherlaubnis haben. Wir brechen ab. Ein junger Mann, der uns bei den Dreharbeiten beobachtet, spricht uns an. Er ist Kurde und lebt auf dem Schiff. „Wollen Sie hier filmen?“ „Ja.“ „Dann kommen Sie mit.“ Er bringt uns durch einen Seiteneingang aufs Schiff. Wir werden in eine Kajüte geführt, die etwa neun Quadratmeter groß ist. Vier Personen leben hier. Sie schlafen in Etagenbetten. In der Mitte der Kajüte ein Tisch, drei Stühle. An der Wand ein kleines Waschbecken. Die Fensterluke mit Blick auf eine Betonmauer. Die Bordwände sind dünn. Aus der Nachbarkajüte hört man, wie sich Menschen unterhalten. Der Boden schwankt unter unseren Füßen. Toiletten und Duschen liegen am Ende des Flurs. Sie werden von den Bewohnern dieses Zwischendecks gemeinsam genutzt. „Hier ist alles Scheiße“, meint Haier Adip, „Essen Scheiße, Wohnung nicht gut!“

„Alles ist Scheiße: Wohnung und Essen!“

Er möchte deutsch lernen, eine Arbeit finden und solange in der Bundesrepublik bleiben, bis sich die Situation in seiner kurdischen Heimat geändert hat. Dort wurde er verfolgt, weil er sich für ein freies Kurdistan eingesetzt hat. Er konnte nur knapp seiner Verhaftung durch türkische Soldaten entkommen. Seine Frau und die beiden Kinder mußte er in der Heimat zurücklassen. Haier Adip lebt bereits seit neun Monaten auf dem Rheinschiff. Wir werden durch lautes Schreien, das aus dem Flur kommt, in unserem Gespräch unterbrochen. Draußen liegt ein junger Afrikaner in einer Lache von Erbrochenem. Ein anderer Afrikaner kommt auf uns zu. Er erklärt uns, daß viele Menschen auf dem Schiff die einseitige Ernährung nicht vertrügen. Beschwerden von Schiffsbewohnern würden von den verantwortlichen Mitarbeitern des Roten Kreuzes nicht ernst genommen. Was hatte Rotkreuz-Geschäftsführer Wilmer behauptet? „Das läuft wohl mit dem Essen, es gibt keine Probleme!“

Als wir ihn fragen, wieviel Geld das Rote Kreuz pro Asylbewerber für Übernachtung und Verpflegung bekommt, antwortet er: „Machen Sie das mal aus.“ Er zeigt auf die Kamera und lacht dabei.

Flüchten in Deutschland ist noch immer verboten

Karfreitag, 13 Uhr. Ich stehe an der Pforte der Zentralen Anlaufstelle. Einer der Wachmänner spricht mich an. Er hält mich für einen Asylbewerber. Ich lasse ihn in diesem Glauben:

Wachmann: „Was willst du hier?“

Autor: „Kosovo.“

Wachmann: „Koso was?“

Autor: „Kosovo.“

Wachmann: „Ja, was willst du hier? What do you want here?“

Autor: „Politikel Asyl.“

Wachmann: „Aaach so! Weißt du, daß heute Feiertag ist?“

Autor: „Dosvedanje?“

Wachmann: „Heute hier Feiertag. Zu! Hier ist zu, Ostern!“

Autor: „Ich habe Hunger!“

Wachmann: „Ja, (lacht) Essen. Hier ist zu. Erst Dienstag morgen wieder. DIENSTAG!“

Autor: „Di...?“

Wachmann: „Dienstag morgen, acht Uhr.“

Autor: „Asyl, politikel Asyl...“

Wachmann: „Ja, ich weiß, aber es ist zu. FEIERTAG!“

Autor: „Wo schlafen, wo?“

Wachmann: „Och, leck mich doch am Arsch!“

Autor: „Schlafen, Essen...“

Wachmann: „Egal, have you a passport?“

Autor: „No, in Kosovo, Polizei haben!“

Wachmann: „Ich darf dich nicht aufnehmen. Ohne Passport darf ich dich nicht aufnehmen. No Passport, nix Asyl!“

16 Uhr: Flüchten in Deutschland an Feiertagen verboten. Eine Familie mit zwei Kindern sitzt am Straßenrand auf ihren Koffern. Die beiden Kinder sind ungeduldig. Auch sie wurden nicht reingelassen.

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