: Die Blockfreien auf der Suche
Gipfeltreffen in Jakarta/ Nach dem Ende des Kalten Krieges fehlt ein neues Selbstverständnis ■ Von Jutta Lietsch
Berlin (taz) — Riesig, schwerfällig und anachronistisch: ein „politischer Dinosaurier“ sei die Bewegung der Blockfreien, schrieb kürzlich ein Kommentator anläßlich des am Dienstag in Jakarta beginnenden Gipfeltreffens der Organisation. Und böse Stimmen behaupten, dieses Urtier sei spätestens mit dem Ende des Kalten Krieges praktisch ausgestorben — nur habe es das selbst noch nicht gemerkt.
Den Kampf gegen den Kolonialismus und für einen dritten Weg zwischen den beiden Blöcken hatten sich die Gründer der Bewegung in den fünfziger und sechziger Jahren auf die Fahnen geschrieben. Zu ihnen zählten die Führer der nun unabhängig gewordenen Staaten, insbesondere der indonesische Präsident Sukarno, Indiens Premier Nehru, der ägyptische Staatschef Nasser, Jugoslawiens Tito und der ghanaische Präsident Nkrumah.
Die Organisation wuchs in den vergangenen vierzig Jahren auf hundert Mitgliedsländer an, doch die Blockfreiheit erwies sich in den meisten Fällen als Fiktion. Auch die zunehmenden Konflikte zwischen den Mitgliedsstaaten vor allem in Asien und Afrika lähmten die politische Handlungsfähigkeit der Bewegung. Dies zeigte sich sehr deutlich im Golfkrieg, wo sie sich weder zu einer Verurteilung der irakischen Invasion Kuwaits bewegen lassen konnte noch zu einer gemeinsamen Haltung gegenüber dem von den USA angeführten Krieg. Schließlich sind sowohl der Irak als auch Ägypten und andere Mitglieder der Golfkriegsallianz bei den Blockfreien vertreten.
Angesichts der veränderten Weltlage müsse die Organisation nun die „Prioritäten auf realistische Weise neu setzen“, sagte Suharto, der als Präsident Indonesiens den Vorsitz übernehmen wird. In den Vordergrund soll die Stärkung der Süd-Süd- Kooperation insbesondere im wirtschaftlichen Bereich treten, der Kampf gegen Armut und Rückständigkeit, der Umweltschutz und ein verstärkter Dialog mit dem Norden. Nach Ansicht Suhartos kommt Indonesien und den wirtschaftlich erfolgreichen Staaten Südostasiens hier eine Vorreiterrolle zu. Allerdings stießen alle bisherigen Versuche, die Blockfreien in eine wirtschaftliche Kooperationsbewegung umzufunktionieren, auf wenig Interesse. Dafür gibt es bereits andere Foren, so die Gruppe der 77.
Suharto hat alles daran gesetzt, die Regierungen der Mitgliedsstaaten dazu zu bewegen, möglichst hochrangige Vertreter zuschicken. So nützlich ein Erfolg seiner Bemühungen auch für Suhartos innenpolitische Stellung sein mag — er will den Vorsitz der Organisation als internationale Anerkennung der Führungsrolle Indonesiens sehen, die ihm Glanz und seinen Ambitionen auf eine weitere Amtsperiode im kommenden Jahr Nachdruck verleiht — so peinlich könnte er auch werden.
Problem Jugoslawien
Es ist weniger der erwartete illustre Auftritt Gaddafis, der ihm Kopfzerbrechen bereiten mag. Für den libyschen Staatschef sah die Vorbereitungsplanung in Jakarta den Bau eines Kamelstalls vor, da er bekanntlich Kamelmilch zu trinken wünscht. Aber wer wird Ex-Jugoslawien vertreten, das bislang den Vorsitz innehatte? Restjugoslawien besteht darauf, das Erbe anzutreten. Dies wird vor allem von Staaten mit mehrheitlich moslemischer Bevölkerung abgelehnt. Kroatien, Mazedonien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina haben den Antrag gestellt, zumindest als Gäste oder Beobachter zugelassen zu werden. Wie kann Indonesien verhindern, daß es zu Kontroversen über die Behandlung der bosnischen Moslems kommt? Sowenig wie Indonesien wünscht, wegen seiner Annexion Ost-Timors kritisiert zu werden, so wenig wollen auch die anderen Mitgliedsstaaten auf ihre „inneren Angelegenheiten“ angesprochen werden. Wenn Indonesien der Blockfreien-Bewegung einen neuen Existenzzweck verschaffen will, kommentiert der Politikwissenschaftler Michael Leifer, dann müsse es verhindern, daß die angereisten Regierungsvertreter den Gipfel „als Plattform für wilde Plattitüden“ mißbrauchten, die vor allem an die Adresse der eigenen Bevölkerungen zu Hause gerichtet seien. Die offensichtlichste Zielscheibe für solche Deklarationen seien die USA, die nun als Quelle aller Übel der Welt herhalten müssen — vor allem, wenn Präsident Bush die UNO für weitere Militäraktionen gegen den Irak einspannen will.
Ob die Konferenz nun ihr eigenes Staatsbegräbnis oder eine Wende zu einem neuen Selbstverständnis sein wird, für die Geschäftswelt in Jakarta hat sie sich auf jeden Fall gelohnt. Insbesondere für den Suharto- Sohn Bambang, der eine Ausnahmegenehmigung für den Import der vielen Limousinen mit dem Stern erhielt, mit denen die Delegierten durch den neuen Tunnel zum Tagungsgebäude chauffiert werden. Die Straßenhändler, Bettler und Dreiradfahrer der Acht-Millionen- Stadt, die für die Dauer der Konferenz aus der Umgebung der Luxushotels und des Tagungszentrums vertrieben wurden, werden dagegen froh sein, wenn die Show vorbei ist.
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