Maastricht-Gegner auf dem Vormarsch

Französische Grüne und Gaullisten in Sachen Europa gespalten/ Meinungsumfragen zeigen Stimmungsumschwung/ Referendum am 20. September könnte zum Denkzettel für die Regierung in Paris werden/ „Mitterrand bleibt, egal was passiert“  ■ Aus Paris Bettina Kaps

„Weder Ja noch Nein“: beim Thema Maastricht sind Les Verts tief gespalten. Dem Chef der französischen Grünen, Antoine Waechter, ist es nicht gelungen, den Nationalrat der Partei zu einem Ja zum Europa-Vertrag zu bewegen: Mit 41 von 82 Stimmen hat sich die Hälfte des Vorstands in der Nacht zum Sonntag für ein Ja zu Maastricht ausgesprochen, die andere Hälfte will das Referendum am 20. September mit Nein beantworten. Die Partei will nun ihren Anhängern die Entscheidung freistellen. Einig sind sich die Grünen, daß der Vertrag von Maastricht mangelhaft ist. „Es ist ein armseliger Text, was die Bereiche Demokratie, Umwelt und Soziales betrifft“, betonten mehrere Vorstandsmitglieder. Die Maastricht-Befürworter befürchten jedoch, ein Nein bedeute einen Rückschlag für Europa; die unentschlossene Haltung könne die Grünen zudem innenpolitisch marginalisieren. Für ein Nein plädieren insbesondere die Präsidentin der Region Nord- Pas-de-Calais, Marie-Christine Blandin, und Dominique Voynet, eine der vier SprecherInnen der Grünen. Sie verurteilt, daß Maastricht „das Europa der Reichen gegen das Europa der Armen“ besiegelt und Osteuropa ausschließt. Im Wahlkampf wollen die Grünen nun erklären, für welches Europa sie kämpfen.

Nicht nur bei den Grünen geht der Riß in Sachen Maastricht quer durch die Partei. Auch die neogaullistische Oppositionspartei RPR ist sich uneins. Parteichef Jacques Chirac wirbt für Maastricht, weil „wir nicht das Recht haben, Frankreich zu isolieren und zum schwarzen Schaf Europas zu machen“. Generalsekretär Alain Juppé erklärte, „der Sieg des Neins würde in Deutschland politische Kräfte befreien, die nur darauf warten, ihre Autonomie zurückzuerlangen“. Die Mehrheit der RPR sympathisiert jedoch mit der „Vereinigung für das Nein beim Referendum“, die von den beiden RPR-Politikern und früheren Ministern, Philippe Séguin und Charles Pasqua, ins Leben gerufen wurde.

Im Wahlkampf vertritt die RPR daher beide Positionen. Auf dem Wahlplakat wird die Frage gestellt, ob der Vertrag von Maastricht ein Fortschritt sei hin zu „dem Europa, das wir wollen... Einige glauben das nicht und wünschen die Neuverhandlung eines neuen Vertrags. Andere sind der Ansicht, daß es mehr Nach- als Vorteile hätte, den Vertrag abzulehnen.“ Seguin und Pasqua fordern eben diese Neuverhandlung, die nach Ansicht der Maastricht-Befürworter nicht möglich ist. Sie kritisieren „den Verlust der nationalen Identität zugunsten einer Technokratie, die in allen Bereichen Gesetze machen will“, sie warnen, daß die Wirtschafts- und Währungsunion zu „einem erschreckenden Anstieg der Arbeitslosigkeit“ führen wird.

In ihrem unermüdlichen Feldzug gegen Maastricht ist es den beiden Rebellen inzwischen gelungen, ein Tabu zu brechen: Sie haben die Überzeugung verbreitet, daß auch Europafreunde den Vertrag ablehnen können. „Nein zu Maastricht, Ja zu Europa“ — dieser Slogan überzeugt immer mehr Franzosen. Nur die sozialistische PS, die liberalkonservative Oppositionspartei UDF und die Bewegung Generation Ökologie stehen fast geschlossen hinter dem Europavertrag, Kommunisten und die rechtsextreme Front National sind dagegen.

Während die Maastricht-Gegner auch in den Ferienmonaten hartnäckig argumentierten, sind die Befürworter erst vergangene Woche durch eine Serie von Umfragen aufgeschreckt worden: 53 Prozent der Befragten erklärten jüngst, sie wollten mit Nein stimmen. Die Sozialisten überschlagen sich seither mit aufgeregten Erklärungen oder versuchen es schlicht mit Angstmache. Nach einem französischen Nein werde „Europa in Stücke zerspringen“, so das Krisenszenario von Sozialisten-Chef Laurent Fabius. Der Präsident der EG-Kommission, Jacques Delors, befahl gar allen Politikern, die gegen Maastricht sind: „Ändert eure Rede oder gebt die Politik auf! Eine reife Demokratie hat keinen Platz für solches Verhalten.“

Der sommerliche Stimmungsumschwung hat die Maastricht-Anhänger überrumpelt. Nicht zuletzt aus innenpolitischem Kalkül hatte sich Präsident Mitterrand am 3. Juni, einen Tag nach dem dänischen Nein, gegen den sicheren Weg — die parlamentarische Ratifizierung — und für das riskante Referendum entschieden. Damals waren noch gut zwei Drittel der Franzosen für den Vertrag. Die Regierung versäumte es jedoch bislang, dessen Vorzüge zu erklären. Eine 7,5 Millionen Mark teure Fernsehkampagne mußte sie absetzen — die Aufsichtsbehörde hatte sie verboten, weil die Spots nicht neutral über das Referendum informierten, sondern das Ja propagierten. Auch die Kampagne der PS für ein Ja zu Maastricht zieht bislang nicht. Während der Slogan „Europa, das bedeutet Frieden“ angesichts der Bilder aus Ex-Jugoslawien bestenfalls hilflos klingt, zielt eine andere Botschaft auf Fremdenfeindlichkeit und Chauvinismus: „Europa machen, heißt auch an Gewicht zulegen“, lautet der Spruch neben einer Karikatur, die einen häßlichen US- Supermann und einen fetten japanischen Sumo-Ringer zeigt, die mit ihren Hinterteilen die Weltkugel erdrücken.

Die Franzosen könnten sich beim Referendum am 20. September auch den Wunsch erfüllen, Regierung und Präsident einen Denkzettel zu erteilen. Aversionen gegen Mitterrand und die Sozialisten ist tatsächlich der erste Grund, den viele Franzosen für ein Nein beim Referendum nennen. Die Regierung steckt so tief in der Krise, daß der bekannte Politologe Olivier Duhamel dem Präsidenten rät, er solle nur zu den Franzosen sprechen, die ihn noch nicht verabscheuen. Ähnlich der Ratschlag des Ex-Präsidenten und überzeugten Europäers Giscard d'Estaing: „Je weniger Mitterrand sich äußerst, um so besser ist das für das Resultat des Referendums.“ Der Präsident solle insbesondere nicht in der großen Fernsehshow auftreten, die für den 3.September geplant ist. An diesem Abend wollen Bundeskanzler Kohl und der britische Premier Major Mitterrand Schützenhilfe geben. Prompt erregen sich die Maastricht-Gegner über die ausländische Einmischung in französische Angelegenheiten.

Regierungschef Bérégovoy mußte dieser Tage betonen, daß auch eine Ablehnung von Maastricht die Franzosen nicht vom ungeliebten Staatschef befreien werde. Damit wies er jeden Vergleich mit dem Referendum von 1969 zurück; damals hatte de Gaulle über eine Verfassungsänderung abstimmen lassen. Zuvor hatte der durch die Unruhen vom Mai 68 angeschlagene Präsident angekündigt, er werde zurücktreten, falls er seinen Vorschlag nicht durchbringe — was auch geschah. Mitterrand „wird bleiben, egal was passiert“, betonte Bérégovoy.