„Ali, mach uns ein deutsches Fischbrötchen“

AusländerInnen reagieren so unterschiedlich wie Deutsche auf die Pogrome von Rostock/ Einige haben Angst vor den Rechtsradikalen — andere befürchten eine Klimaverschlechterung und Nachteile wegen angeblich zu vieler „Asylanten“  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — In ihrem Gemüse- und Spezialitätenladen im Nordend stehen die deutschen Hausfrauen und -männer Schlange. Helena S. (51) aus Saloniki fühlt sich „sauwohl“ in Frankfurt am Main. Und in breitestem Hessisch läßt sie die Stammkundschaft wissen, daß sie inzwischen — nach mehr als fünfzehn Jahren in der Mainmetropole — „lieber Handkäs' mit Mussig als Taramas“ ißt. Was in Rostock und anderswo passiert ist, läßt sie nicht kalt, aber: „Mich betrifft des net direkt, denn die Leut' hier, die halde mich doch längst für e Frankfurter Mädche.“ Sie gibt der Rentnerin mit dem Arm voll frischem Porree recht, die einwirft, daß in Rostock „doch nur ein paar verrückte Glatzköpp' ihr Mütche gekühlt habbe“. Und wenn die Polizei mit dem Knüppel draufgehauen hätte, wäre der ganze Spuk schnell vorbei gewesen. „Den Porree geb' ich dir heut für drei Mark, Erna — weil du's bist“, sagt Helena.

Erdal Y. fühlt sich im Bahnhofsviertel hingegen nicht wie ein Fisch im Wasser. Der 25jährige Türke mit der Elvis-Tolle ist Hilfskraft in einem Kebab-Grill. Vor Wochen hatten drei Deutsche versucht, ihn zu provozieren: „Ali, mach uns mal ein richtig deutsches Fischbrötchen!“ Höflich sei er geblieben, sagt Erdal. Doch die drei Männer in seinem Alter hätten danach angefangen, ihn zu beschimpfen. „Du stinkst doch nach Hammel, Kameltreiber!“ Nur weil sein Chef mit dem Tranchiermesser aus der Küche gekommen sei, hätten sie das Weite gesucht, nicht ohne zuvor noch die Servietten und die Gewürze von der Theke zu fegen. Für Erdal steht fest, daß sich die Stimmung generell verschlechtert hat. Nach der Eröffnung des Grills seien noch viele Deutsche vorbeigekommen. „Doch heute haben wir fast nur noch türkische Gäste.“ Nach den Ereignissen in Rostock hat Erdal „echt Angst“. „Ich hab' vor dem Fernseher gesessen und einfach nicht glauben wollen, was ich da sah.“ Wundern, so Erdal, der in Frankfurt aufgewachsen ist, würde es ihn nicht, wenn die Ausländerhasser demnächst in seinem Grill einen Brandsatz durch die offene Tür werfen würden: „Ich will nix herbeireden, aber soche Gedanken kommen einem nach diesen Bildern aus Rostock automatisch.“ Noch setzt Erdal auf das bislang gute Klima zwischen ausländischen und deutschen BürgerInnen in der Stadt. Und daß am Freitag Tausende von SchülerInnen gegen die Pogrome von Rostock und für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Nationalität demonstriert haben, findet er „ganz toll“. Auf den Straßen der Stadt oder in der Disco habe er noch keine Probleme mit Deutschen gehabt. Fast ein Jahr lang sei er sogar mit einem deutschen Mädchen gegangen. „Das ging dann kaputt, weil wir uns nix mehr zu sagen hatten. Damit, daß ich Türke bin, hatte das nix zu tun.“

Für Mohamed A. ist dagegen die Welt seit Rostock völlig aus den Fugen geraten. Vor zehn Jahren war der 42jährige Türke nach Rüsselsheim gekommen, um bei Opel in der Produktion zu arbeiten. Und Mohamed fand sich in der Stadt mit ihren 60.000 EinwohnerInnen und dem 24prozentigen Ausländeranteil schnell zurecht. Am liebsten geht Mohamed, dessen Familie inzwischen nachgezogen ist, am Sonnabend auf den Wochenmarkt. Der Markt mit seinen HändlerInnen und seiner Kundschaft aus „aller Welt“ ist Mohameds multikulturelle Gesellschaft en miniature: „Auf dem Markt sind auch die deutschen Bauern freundlich zu uns, denn ohne uns könnten die doch kaum noch was verkaufen.“ Im Werk ist der bärenstarke Türke Kolonnenführer — und ein bei türkischen und deutschen Arbeitern gleichermaßen beliebter Kollege. Doch seit in Rostock die Brandflaschen flogen, habe sich „beim Opel“ das Klima sehr verschlechtert, sagt Mohamed. Die Ausländerhasser, die es schon immer gegeben habe, seien „frecher“ geworden — „und in einigen Abteilungen geben die Hetzer schon den Ton an“. Das habe dazu geführt, daß sich auch die ausländischen Kollegen in den Pausen immer mehr abschotteten. Eine Entwicklung, die Mohamed nicht gefällt: „Wir machen doch die gleiche Arbeit, zahlen die gleichen Steuern und liegen keinem deutschen Menschen auf der Tasche. Man kann uns doch nicht mit den Asylanten in einen Topf werfen.“ Er habe nichts gegen die Flüchtlinge, sagt Mohamed. Doch viel mehr „Asylanten“ dürften nicht mehr kommen — „weil wir sonst alle darunter leiden müssen“.

„Rassistischer als viele Deutsche“ präsentieren sich AusländerInnen offenbar in der kleinen Gemeinde Dörnigheim im Maintal vor den Toren Frankfurts. Da werde eine Bürgerinitiative gegen ein Heim für AsylbewerberInnen in einem Wohnviertel von einer Griechin angeführt, berichtet ein Kollege, dessen Elternhaus in der betroffenen Straße steht. Stolz ist der Kollege darauf, daß seine Eltern die Unterschriftenliste gegen die Unterbringung der Flüchtlinge im Viertel nicht gezeichnet haben — „aber die Griechen und die Italiener an der Ecke und die Ostaussiedler haben alle unterschrieben“. Die sarkastische Empfehlung des Kollegen an seine Eltern, falls die Griechin mit ihrer Unterschriftenliste noch einmal kommen sollte: „Ausländer raus!“