Anschlag auf Hannovers Altstadtfest

16 Menschen wurden durch eine in einem Papierkorb deponierte Bombe zum Teil schwer verletzt/ Die Hintergründe und Motive des Anschlags sind noch völlig ungeklärt/ Kein Bekennerschreiben  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Zehn Frauen und sechs Männer wurden am Samstag abend durch einen Sprengstoffanschlag auf dem hannoverschen Altstadtfest verletzt. Die Hintergründe des Attentats sind noch völlig ungeklärt. Während man gestern mittag immer noch um das Leben eines bei der Explosion schwerverletzten 24jährigen Mannes bangen mußte, konnte der hannoversche Polizeipräsident Detlef Domaschk der Presse lediglich mitteilen, daß er bisher weder über die Art des Sprengkörpers noch über die Motive des heimtückischen Anschlages Aussagen machen könne. Sowohl der eiserne Papierkorb, in dem die Bombe um 19.14 Uhr inmitten der Festbesucher explodierte, als auch der Sprengkörper selbst seien in unzählige Teile zersplittert, sagte Domaschk. Aussagen über Bauart und Zündmechanismus der Bombe seien deswegen noch nicht möglich. Bisher gehe die Polizei von selbstgefertigtem Sprengstoff aus. Es sei aber immer noch nicht auszuschließen, daß die Bombe mit industriellem Sprengstoff gefüllt gewesen sei. Bekennerschreiben oder -anrufe seien weder bei der Polizei noch bei anderen Stellen eingegangen. Zwar habe es nach 22.30 Uhr, als der Anschlag schon bekannt war, zwei telefonische Bombendrohungen gegen Lokale im Bereich des Altstadtfestes gegeben. Diese wertete der Polizeichef jedoch als „Nachfolgetaten“, wie sie nach solchen Anschlägen regelmäßig vorkämen. In den betreffenden Lokalen wurde denn auch nichts Verdächtiges entdeckt.

Zur Zeit der Explosion befanden sich nach Schätzungen des hannoverschen Oberstadtdirektors Jobst Fiedler zwischen 150.000 und 200.000 Besucher auf dem Straßenfest, das seit 1970 jedes Jahr in der ganzen hannoverschen Altstadt gefeiert wird. Der metallene grüne Papierkorb, in dem der Sprenkörper verborgen war, befand sich an einem Laternenpfahl direkt vor dem Eingang des Standesamtes, das im alten hannoverschen Rathaus untergebracht ist. Der Tatort liegt damit am südlichen Rand des eigentlichen Festgeländes. In unmittelbarer Nähe befand sich ein Bierstand einer hannoverschen Brauerei. Gegen die Stände mit ausländischen Spezialitäten, die weitab vom Ort der Explosion aufgebaut waren, richtete sich der blutige Anschlag augenscheinlich nicht. Die Explosion hinterließ in dem schmalen Fußgängerweg hinter dem alten Rathaus nach Augenzeugenberichten ein regelrechtes Schlachtfeld von Blut, Glas und Metallsplittern. Teile des Papierkorbes und des Sprengsatzes wurden bis zu vierzig Meter weit geschleudert. Noch in dreißig Meter Entfernung wurde ein Festbesucher von Metallsplittern getroffen. Neben dem gestern noch in Lebensgefahr schwebenden jungen Mann erlitten weitere vier Besucher schwere Verletzungen, einer jungen Frau soll die Explosion den Fuß abgerissen haben. Die übrigen elf Opfer konnten nach einer ambulanten Behandlung die Krankenhäuser wieder verlassen.

Schon kurz nach dem Anschlag ordnete die hannoversche Stadtverwaltung ein vorzeitiges Ende des Altstadtfestes an, das bis zum Sonntag abend dauern sollte. Die Polizei konnte nach eigenen Angaben trotz intesiver Suche im Festbereich nicht garantieren, daß in den Straßen der Alstadt keine weiteren Sprengkörper plaziert waren. Oberstadtdirektor Fiedler nannte gestern „Solidarität mit den Opfern“ als Grund für das vorzeitige Ende. Um eine „Panik unter den Festbesuchern“ zu vermeiden, habe man sich allerdings entschlossen, die Veranstaltung nur vorzeitig ausklingen zu lassen. Nicht die Besucher, sondern nur die Betreiber der zahlreichen Stände und Bühnen seien über den Anschlag und die Absage des Festes informiert worden. Die Musik- und Theatervorstellungen waren allesamt um 23 Uhr zu Ende. Das hannoversche Alstadtfest sei eines der ältesten Stadtfeste dieser Art, sagte gestern Oberstadtdirektor Fiedler, und er hoffe auch deswegen, daß die Motive des Anschlages bald aufgeklärt würden.

Der hannoversche Polizeipräsident sprach gestern zwar „von äußerlichen Parallelen“ zu dem von Rechtsradikalen im Jahre 1980 verübten Anschlag auf das Münchner Oktoberfest. Daraus läßt sich seiner Ansicht nach aber nicht der Schluß ziehen, daß dem Anschlag in Hannover ähnliche Motive zugrunde liegen oder daß die Täter nur in den gleichen rechten Kreisen zu suchen sind. Für die Aufklärung der Hintergründe des furchtbaren Ereignisses hofft die Polizei jetzt vor allem auf Hinweise von möglichen Zeugen, die den oder die Täter beim Deponieren der Bombe beobachtet haben könnten.