Fast schon obszön: Tango

■ Tanztheater „Arrabal“ erzählte die Geschichte von Entwurzelung und Glück

Es ist eine alte Geschichte, die das Tanztheater „Arrabal“ am Freitag im „Modernes“ erzählte: Die Geschichte der Emigration, die Argentinien und die nordwestspanische Religion Galicien seit Jahrhunderten verbindet. Jahr für Jahr zogen tausende von Gallegos aus, um auf dem südamerikanischen Kontinent ihr Glück zu suchen: Buenos Aires lag den armen Fischern und Bauern näher als Madrid. Mit wenigen musikalischen und optischen Anspielungen haben die vier vom Tanztheater Arrabal Galicien auf der Bühne skizziert: Die „gaita“, der galicische Dudelsack ertönt, Queimada, ein flambierter galicischer Schnaps, wird aufgetragen: Auf dunkler Bühne füllt die Tänzerin Silvia Gain die brennende Flüssigkeit in kleine Schälchen — ein beinah magisches Ritual. Stellvertretend für die Hunderttausende hoffnungvoller EmigranInnen steht in dem Bühnenstück „Volver“ eine Galicierin, die wie viele in Argentinien weder Glück noch Erfolg findet und in einem Bordell in Buenos Aires als Tangotänzerin endet.

„Es ist meine Geschichte, genauso wie deine: Die Geschichte der ewigen Entwurzelung der Menschen“, erläutert der Galicier Ramon Regueira, Sänger und Musiker. Doch mehr noch ist „Volver“ die Geschichte der Musik und des Tango-Tanzes in vielen Variationen: Der Tanz des Volkes, der Modetanz der Pariser Salons der Jahrhundertwende, und schließlich der fast schon obszöne Tango, den die alte Hure mit ihrem Zuhälter aufs Parkett eines schmierigen Bordells legt.

Die Tango-Programmen der Gruppe ziehen die deutsche Tango-Gemeinde in die Veranstaltungssäle. In „Volver“ hat „Arrabal“ Klassiker des argentinischen Tangos neu arrangiert: Carlos Gardels „Buenos Aires“ und „Volver“ — Melodien, bei denen einige im Publikum leise mitsummen. Mit Charme und schmalziger Übertreibung mimt Ramon Regueiro den Tango-Guitarristen, und der Tänzer Jorge Rodriguez wird auf der Bühne zum argentinischen Macho: stampfend, balzend, schleichend — nie fehlt der beifallheischende und zugleich die Frau taxierende, hochmütige Blick. „Auf diesen Männlichkeitskult werden wir immer angesprochen“, sagt Anette Meisl, die Geigerin und Managerin von „Arrabal“. „aber er ist Teil des Tango. Und mit der Übertreibung versuchen wir zu provozieren.“

Die Geschichte hinter der Geschichte: „In München hat uns ein Wissenschaftler darauf gebracht, daß das Buch 'Der Herbst des Patriarchen' von Gabriel Garcia Marquez über 30 Anspielungen auf Tangos und andere Lieder enthält“, erzählt Anette Meisl. Doch der Versuch der Gruppe, vom Autor die Rechte für ein Bühnenstück in Anlehung an seinen Prosatext zu erhalten, scheiterte. Geblieben ist von der ursrpünglichen Idee eine kleine Anthologie des Tango. Sie steckt voller Anspielungen auf die Geschichte des Tangos und argentinische und galicische Eigenheiten. Vieles davon bleibt dem deutschen Publikum verborgen, vermutet Ramon Regueira. „Doch die Leute lachen über die Ironie und die Komik und sie fühlen die Traurigkeit und Melancholie.“ Gardels Musik und die schluchzende Geige tun das ihre dazu, Tänzer und Tänzerin bewahrten auf der Bühne des „Modernes“ Distanz und blieben ausdruckslos.

Das Ende der Geschichte ist der Zusammenbruch: Die Galicierin ist alt geworden, die Erinnerungen an ihre Heimat überwältigen sie. Doch eine Rückkehr, wie der Titel des Stücks es verspricht, gibt es nicht. „Das Leben ist nur ein Atemzug“ heißt es in einem Tango von Gardel, und Ramon Regueira kennt zu später Stunde nur einen Ausweg für die Entwurzelung des Menschen: „Es bleibt nur die Verrücktheit“. Diemut Roether