documenta 9 — Spot 7

■ Ulrich Meister — schneidet, brennt und löscht

Spot ist eine Serie der taz zu einzelnen Arbeiten oder Künstler(inne)n auf der documenta 9 in Kassel. Bis zum 20.September

Bildende Kunst ist immer disparat, und dies viel erfolgreicher als zum Beispiel der Roman, dessen Form immer wieder ins Ganzheitliche zurückläuft. Sie hat ihr Geäst in den zähen Stein der Epoche wachsen lassen, der Diebstahl an anderen Künsten ist vorgesehen; die Genres der bildenden Kunst zeigen sich stolz als unrein, an den Rändern angefressen wie Fingernägel.

Dennoch — wie in dem chinesischen Kinderspiel, in dem sich die Elemente, durch eine Handstellung spontan signalisiert, gegenseitig zerstören — findet man auf der documenta das eine Werk, das die anderen schneidet, brennt oder löscht; nein, natürlich nicht der dümmlich-brachiale „Man walking to the sky“, der die Amalgamierung der Genres (Zeichnung, Video, Skulptur) vorführen möchte, aber sich im Diebstahl ertappen läßt.

Dieses eine Werk spricht nicht in der Geste des Meisterwerks, auch wenn — welche Fügung — der Künstler Meister heißt. Zwangsläufig findet man Ulrich Meisters Arbeit in einem Durchgang (auf der Ostseite des Fridericianums), und in ihrer schlagenden Alltäglichkeit ist sie nicht zu übersehen, auch wenn man den Papierkorb, mit Papier, für mißglückten Service halten könnte. Er ist eines von acht oder neun Gegenständen, die der Künstler in einfachster Weise aufgestellt oder an die Wand gebracht hat; und in der Nachbarschaft eines jeden Dings findet man auf einem weißen Blatt einen Text von wenigen Zeilen, in der Typographie der Schreibmaschine. Eine Pappe, wie man sie am Würstchenstand bekommt, ist an der Wand befestigt und so kommentiert: „Als gäbe es diese Fläche nur ein einziges Mal,/wölbte sich der Rand, der mehrstufig aufstieg, daran entlang,/ und bog sich im Rund wie eine ihr zur Feier sich öffnende Blume/ um die Ecken herum.“

Ein anderer Text lautet so: „Nach getanem Werk/ lagen sie da wie die Rechte und Linke/ gefaltet im Schoß“. Das dazugehörige Objekt sind Schaufel und Besen.

In dem Sinne, als die Objekte, wie sie gewählt und präsentiert sind, eine Untertreibung darstellen, gehen die Texte deutlich ins Gegenteil; es sind, bei aller Kürze, bombastische Interpretationen. In der Mitte dieses weitgespannten Bogens findet sich die Position des Künstlers, eine Position der Balance. Natürlich sind die Würstchenpappe, das Baiser, der kahle Wäschetrockner mit Bügel und der blauweiße Kinderball „gefundene Objekte“, aber sie sind — bei Ulrich Meister — nicht wirklich objets trouvés. Meister schöpft die Spannung, die die Menschen des 20. Jahrhunderts zum Objekt entwickelt haben, voll aus und ironisiert gleichzeitig den Kommentar, den die Zurücknahme des „Gemachten“ (zu Gunsten des Gedachten) ausgelöst hat. Im Sinne der Moderne (als Prinzip der Reduktion: Bauhaus) sind seine Texte ein barockes surplus, jene Zutat, die die ganzheitliche Struktur aus Lust und Laune ins Wanken bringt. Das Prinzip — und das ist das eigentlich perfide an dieser Arbeit — heißt trotzdem Mimesis.

In der Balance von Ernst und Unernst zelebriert Meister die Leichtigkeit des Scheins; und während man durch sein konkretes Kabinett geht, liest und schaut, schaut und liest, wird man vom Wesen der Dinge, die er weniger ausstellt als mehr an die Blicke verschenkt, durchaus ergriffen. Ulf Erdmann Ziegler