Keine Zeit für Blütenträume

Berliner Blätterwald: Holtzbrinck, Springer und Gruner+Jahr kämpfen um die Macht  ■ Von Dieter Rulff

Auf dem Berliner Zeitungsmarkt, so schätzt der Herausgeber des Tagesspiegel, Lothar C. Poll, die Lage ein, „werden jetzt die Gewichte für die nächsten 10 bis 15 Jahre gelegt und die entsprechenden Engagements verteilt“. Für den Konkurrenzkampf hat sich der Tagesspiegel nun gewappnet, allerdings um den Preis seiner Unabhängigkeit: Er ist unter das Dach des mächtigen Holtzbrinck-Konzerns geschlüpft. Das Stuttgarter Medienunternehmen hat 51 Prozent der Anteile an Berlins ältester noch erscheinender Nachkriegszeitung erworben. Den Rest teilen sich die bisherigen Anteilseigner, die Erbengemeinschaften Reger und F. K. Maier sowie die „Pressestiftung Tagesspiegel“, in der die führenden Köpfe des Blattes vertreten sind.

Seine Unabhängigkeit war jahrzehntelang das Markenzeichen, mit dem sich der Tagesspiegel gegen den Berliner Marktbeherrscher, den Springer Verlag, behauptete. Bereits vor der Maueröffnung steuerten die Macher des Tagesspiegels einen expansiven Kurs: Sie legten den Grundstein für eine neue Druckerei — und damit für seinen wirtschaftlichen Niedergang. Die Investition von 100 Millionen Mark rentierte sich nicht, die Anlage war nicht ausgelastet. Die Vereinigung Berlins bescherte zwar den Verlagshäusern einen riesigen neuen Absatzmarkt, doch führte das nur zu einer kurzfristigen Auflagensteigerung. Die Tendenz zeigt im Jahre zwei nach der Vereinigung bei den meisten Berliner Blättern wieder nach unten. Der Tagesspiegel hat mit rund 130.000 verkauften Exemplaren wieder seinen Auflagenstand von 1989 erreicht. Der Versuch, auf dem erweiterten Markt die Claims abzustecken, ist gescheitert. Die Verlage haben das Leseverhalten der Ostberliner falsch eingeschätzt. Mittlerweile spricht man wieder von zwei getrennten Märkten. Ein Zustand, der, so die gleichlautende Prognose beim Tagesspiegel und bei Springer, noch fünf Jahre andauern wird. In Berlin- West dominieren die angestammten Blätter Tagesspiegel und taz sowie die Springerprodukte Morgenpost, Bild und BZ. Der Ostberliner Markt wird zum Großteil von der hundertprozentigen Gruner+Jahr-Tochter „Berliner Verlag“ und ihren Produkten Berliner Zeitung und Kurier am Morgen beherrscht. Alle klagen über Absatzschwierigkeiten im jeweils anderen Teil der Stadt.

Das Zeitungssterben wird weitergehen

Im Konkurrenzkampf sind bereits eine Reihe von Titeln auf der Strecke geblieben. Im Westteil mußte das traditionsreiche sozialliberale Spandauer Volksblatt sein Erscheinen als Tageszeitung einstellen. Ihm half ein spätes Springer-Engagement genausowenig wie im Osten dem Morgen, das Springer trotz des guten Renomees des Blattes nicht mehr weiterführen wollte. Die frühere Gewerkschaftsgazette Tribüne ist ebenso verschwunden wie das Deutsche Landblatt und der Kurier am Abend. Das jüngste, wenn auch wenig beklagte Opfer war Burdas Super.

Mit Holtzbrinck, Springer und Gruner+Jahr sind drei der größten Verlage Deutschlands am Berliner Zeitungsmarkt vertreten. Holtzbrinck hat sich mit seinem Engagement beim Tagesspiegel nicht nur ein renommiertes Hauptstadtblatt gesichert, sondern auch eine Druckerei. Die macht es dem Konzern mit ihren Überkapazitäten möglich, problemlos eine den östlichen Lesegewohnheiten angepaßte Ausgabe seines Handelsblattes herauszugeben.

Gedanken an eine Ostausgabe werden auch der Frankfurter Allgemeinen nachgesagt. Deren Ostberliner Tochter, das ehemalige Ost- CDU-Blatt Neue Zeit, dümpelt trotz guter Machart bislang bei einer Auflage von 40.000 Stück.

8.000 Exemplare weniger setzt das ehemalige Zentralorgan der SED Neues Deutschland in Berlin ab. Dem drohenden Zusammenbruch begegnete man in der Vergangenheit mit einer Spendenkampagne und einem rigiden Personalabbau. Jetzt ist die Zeitung, nach Einschätzung des Geschäftsführers Bernd Elias, wirtschaftlich in der Phase, „wo es auf plus minus null pegelt“. Das könnte leicht wieder anders werden, Elias befürchtet erhebliche Kostenzuwächse, denn ab nächstes Jahr wird die Post die Vertriebspreise erhöhen. Branchenkenner sagen dem Blatt bestenfalls ein Überleben als Berliner Stimme der PDS voraus. Wenig Perspektive wird auch dem ehemaligen FDJ-Organ Junge Welt eingeräumt.

Nach dem Verkauf des Tagesspiegels kann die tageszeitung den Titel für sich in Anspruch nehmen, Berlins einzige überregionale und unabhängige Zeitung zu sein. Dafür zahlt das Blatt allerdings einen hohen Preis. Es verfügt über keine Rücklage, mit der es den Rückgang seiner Auflage auffangen kann. Die Käuferzahl verringerte sich im letzten Jahr um 6.000. Um die drohende Krise abzuwenden, will man jetzt eine Abo-Kampagne unter dem Motto starten: „Keine taz mehr? Ohne mich.“

Im Oktober bekommt Springers Welt ein neues Gesicht. Im nächsten Jahres wird sie nach Berlin ziehen und dort mit einem Lokalteil herauskommen. Dann wird nach allgemeiner Einschätzung das zukünftige Berliner Zeitungsangebot komplett sein. Schreibtischentwürfe wie das vor zwei Jahren von einer Gruppe linker Journalisten angedachte Berliner Tageblatt werden von Tagesspiegel und Springer als „Blütenträume“ bewertet. Springers Welt und Holtzbrincks Tagesspiegel werden um die Rolle der Hauptstadtzeitung buhlen. Im Streit um den Markt der Boulevardzeitungen werden bereits jetzt dem Kurier am Morgen nur noch wenig Chancen gegen BZ und Bild eingeräumt.

Erbittert wird die Konkurrenz zwischen Berliner Zeitung und Berliner Morgenpost um die Spitzenstellung unter den Abonnementzeitungen ausgefochten. Lediglich 15,50 Mark kostet das Monatsabo des Ostprodukts, 21,50 Mark sein westliches Gegenstück, Tarife, bei denen die Verlage kaum auf ihre Kosten kommen. Hans-Wilhelm von Viereck, Verlagsleiter des Berliner Springer-Hauses, geht davon aus, daß generell eine Preiserhöhung angemessen wäre. Dennoch will er in einem Preiskampf, auch wenn er völlig unvernünftig sei, mithalten.

Doch es gibt auch „bei aller Konkurrenz“ — so von Viereck — Versuche der Kooperation. Zwischen Berliner und Springer-Verlag gab es Gespräche über eine mögliche Mitnutzung des neuen Druckhauses, daß Springer zur Zeit für 550 Millionen Mark in Berlin baut. Kooperieren wollen die drei Häuser auch beim Vertrieb. Was die Verlage neben ihrem Interesse an Kosteneinsparung eint, ist die Konkurrenz der elektronischen Medien. Im letzten Jahr sank die Zahl der Leser der Berliner Tageszeitungen um insgesamt 200.000 auf 1,3 Millionen. Auch wenn dieser Abwärtstrend in den letzten Monaten abflachte, ist mit einem weiteren Zeitungssterben zu rechnen.