Regenpoker

■ Durch geschickten Reifenwechsel gewann Michael Schumacher den Formel-1-Grand-Prix von Belgien

Spa-Francorchamps (taz/dpa) — Vor einem Jahr bei seinem Formel 1-Debüt war Michael Schumacher beim „Großen Preis von Belgien“ auf dem 6,4 Kilometer langen Rundkurs in den Ardennen nur 800 Meter weit gekommen, diesmal waren ihm die diversen Rennsportgötter, vor allem der des Wetters, erheblich holder. Kurz vor Beginn des Rennens hatte es angefangen zu regnen. Alle Fahrer starteten aber trotzdem mit den profillosen Slicks.

Der Brasilianer Ayrton Senna erwischte den besten Start, Schumacher fiel erstmal auf Platz fünf zurück. Nach vier Runden war die Strecke so naß, daß die Fahrer nach und nach Regenreifen aufzogen. Nur Senna blieb stur und fuhr in der Hoffnung, daß die Bahn schon abtrocknen würde, mit Slicks weiter. Erst in der 15. Runde gab der Brasilianer, der die letzten vier Male in Spa-Francorchamps gewonnen hatte, klein bei, kurvte an die Boxen und hatte mit seinem mißratenen Reifenpoker bereits alle Siegchancen verspielt.

Als gegen Ende des Rennens die Strecke trocknete, erwischte Schumacher dank der unfreiwilligen Hilfe seines Teamkollegen Martin Brundle den denkbar günstigsten Zeitpunkt zum Reifenwechsel. Bei einem Überholmanöver rutschte er auf die Wiese, konnte aber gleich weiterfahren. „In dem Moment zog Brundle an mir vorbei, und da sah ich, wie abgefahren seine Hinterreifen waren“, schilderte er später diese Szene. Sofort entschloß er sich zum Wechsel, holte danach Runde um Runde auf und setzte sich nach einem Dreher des Briten Nigel Mansell, der bereits als Weltmeister feststeht, an die Spitze. Ein ungewohntes Erlebnis, das ihm selbst fast entging. Dreimal übersah er die Positionsmitteilung seines Teams. „Ich konnte die Boxentafel so schlecht sehen. Da habe ich fast verschlafen, daß ich zum erstenmal in meiner Karriere in Führung lag.“

Mansell kam zwar noch einmal auf, fiel aber nach Problemen mit dem Auspuff wieder zurück. Mit 36 Sekunden Vorsprung fuhr der 23jährige Schumacher, der von den 76.000 Zuschauern lautstark gefeiert wurde, vor Mansell und Patrese als drittjüngster Formel-1-Sieger aller Zeiten — nur Bruce McLaren (Neuseeland) und Jacky Ickx (Belgien) waren jünger — über die Ziellinie. Nach Graf Berghe von Trips (1961) und Jochen Mass (1975) ist er der dritte Deutsche, der den Sprung auf die oberste Stufe des Podestes schaffte.

Über die Zukunft von Michael Schumacher gibt es zur Zeit viel Gerede und Gerüchte. Ron Dennis, Teamchef von McLaren, dem der Österreicher Gerhard Berger (zu Ferrari) und vermutlich auch Ayrton Senna weglaufen, der mangels lukrativer Angebote möglicherweise ein Jahr pausiert, soll eine Ablösesumme in Höhe von zehn Millionen Dollar geboten haben. Benetton-Teamchef Tom Walkinshaw meinte jedoch nur lapidar: „Wir geben Schumacher nicht her.“ Und auch der Fahrer selbst beteuerte, daß er seinen Vertrag einhalten wolle. Was im Formel-1- Zirkus erfahrungsgemäß jedoch nicht allzuviel heißt. Gisela Nürnberger