Die weltmeisterliche Mogelpackung

Die Weltmeisterschaft im Bahnradsport für Profis und nichtolympische Amateure suggeriert erstklassigen Radsport und bietet zweitklassige Rennen  ■ Aus Valencia Ole Richards

Seine erste Berührung mit dem nagelneuen Velodrom dieser Weltmeisterschaft hatte der deutsche Berufsradsprinter Michael Hübner, als er am Eröffnungstag feierlich an die Stadionwand pinkelte. „Ich habe die Sportlertoilette nicht gefunden“, rechtfertigte sich der dreifache Profiweltmeister aus Chemnitz nach der Schändung des Prunkstücks. Mit dieser Aktion verhinderte er wenigstens für sich, was dieser WM immer noch droht: Sie kann in die Hosen gehen.

Eigentlich sollte Valencia die spektakulärste, schnellste und schönste Radrennbahn der Welt erhalten. Als der Präsident des Rad- Welt-Verbandes und Bau-Millionär Luis Puig in den 80er Jahren seiner Heimatstadt die Weltmeisterschaft bescherte, versprach er gleichzeitig tatkräftige Unterstützung bei der Finanzierung des Spektakels. Doch als der Namensgeber des „Luis-Puig- Velodroms“ vor zwei Jahren unerwartet verstarb, hinterließ er niemanden, der die von 10 auf 30 Millionen Mark gekletterten Kosten übernehmen kann.

„Trotz all der Probleme, es ist die schönste der 100 Bahnen, die ich bisher gebaut habe“, schwärmt der deutsche Konstrukteur Schürmann. „Die Bahn ist viel zu eng für die schnellen Tandems“, mäkelt dagegen der deutsche Trainer Krünägel, nachdem sein Zweier-Weltmeisterduo mit bloßem Hintern die Bahn nachgeschliffen hatte.

Ursprünglich war ein nobler Holzbelag geplant. Er wurde durch billigeren Beton ersetzt. Ursprünglich sollte ein Glasdach die Halle abdecken. Es blieb ein kaltes Metallgeflecht. Eigentlich wollte Spanien der radelnden Sportwelt ein Fest ihrer Sportart präsentieren. Der Baske Miguel Indurain provozierte mit seinen Triumph-Fahrten beim Giro d'Italia und der Tour der France noch Kolonnen von Sonderbussen nach Paris zum Ziel der Tour. Der Andalusier José Moreno forderte mit dem ersten Radsport-Gold für Spanien bei Olympischen Spielen noch zu minutenlangem Absingen der Nationalhymne auf. Die Bahn-Weltmeisterschaft jedoch läßt die Spanier vollkommen kalt.

Die iberischen Radler werden hinterhertrampeln, das mögen ihre Landsleute nicht. Von den 9.500 Plätzen im Radstadion blieben bei der pompösen Eröffnung fast 5.000 Sitze frei.

Eigentlich sollte diese WM das positive Image des Radsports mit neuem Glanze erhellen. Dafür fehlen jedoch die spektakulären Bahndisziplinen wie der Amateur-Sprint oder die Mannschaftsverfolgung. Übrig bleibt ein Sammelsurium aus bei Olympia erfolglosen Amateuren und namenlosen Profis. Die Siegerin im Punktefahren, die niederländische Polizistin Ingrid Haringa, tröstet sich mit dem Regenbogenleibchen für ihre olympische Niederlage im Frauensprint.

Bei den Profis stiegen die beiden australischen Dopingspezialisten Hall und Pate kräftig abgemagert auf die Räder. Vor einem Jahr in Stuttgart spurteten sie auf die Plätze eins und drei der Sprint-WM und wurden der anabolen Futterei überführt. Lange Sperren kann sich der Profi- Bahnradsport nicht leisten, weil sonst zu wenig Fahrer übrig bleiben. Dem Ruf „Drogisten aller Länder vereingt euch“ folgte auch der australische Dopingexperte Vinicombe (1987 Weltmeister im 1.000-Meter-Zeitfahren) und der Schweizer Tablettenkönig Urs Freuler (vierfacher Weltmeister im Punktefahren), der bereits drei Doping- Ferien hinter sich hat. Aber vielleicht bemerkt keiner den beschmuddelten Rückkehrer, weil er nicht im Punktefahren startet, sondern sich im Keirin-Pulk versteckt.

Eigentlich sollte wenigstens das Tandem-Rennen mit dem deutschen Weltmeistern Raasch/Pokorny entzücken. Emanuel Raasch gewann bereits 1975 Bronze bei der Sprint-WM und wollte seinem Ruf als radsprintender Pensionär festigen. Eyk Pokorny besiegte nach Olympia selbst Goldsprinter Fiedler und wollte seinen Ruf als zweitbester Amateursprinter untermauern.

Die Weltmeisterschaft begann mit einer spektakulären Eröffnungsfeier im Velodrom von Valencia, und sie endet in einer Woche in den Straßen von Benidorm, 160 Kilometer südlich. Miguel Indurain und seine berühmten Kollegen werden sicherlich Hunderttausende Fans anlocken. Vielleicht merkt dann keiner, daß diese Weltmeisterschaft nicht viel mehr war als eine zwielichte Mogelpackung.