Perus Feldzug gegen „Terrorismus-Apologeten“

Die Menschenrechtslage in Peru wird nach einem Bericht von „Americas Watch“ immer düsterer/ „Schockierende“ Haftbedingungen für politische Gefangene/ Vorgehen des Staates fördert Attentatskampagne der Sendero-Guerilla  ■ Von Ralf Leonhard

Managua (taz) — Politische Häftlinge werden im Gefängnis wie Tiere gehalten, Übergriffe seitens der Sicherheitskräfte werden systematisch vertuscht, und die politischen Freiheiten sind immer stärker bedroht — das ist das Fazit der Menschenrechtsorganisation Americas Watch über die Situation in Peru. Ende Mai und Anfang Juli recherchierte das angesehene Washingtoner Menschenrechtsbüro in Lima; jetzt wurde der Bericht vorgelegt. „Es ist äußerst zweifelhaft, daß das Abweichen vom Pfad der peruanischen Demokratie— so lückenhaft diese auch gewesen sein mag — den Streitkräften eine effizientere Bekämpfung des Sendero Luminoso ermöglicht“, heißt es darin.

Untersucht werden die Entwicklungen seit dem „technischen Staatsstreich“ vom 5. April, als Präsident Alberto Fujimori das Parlament auflöste, die Verfassung suspendierte und die Justiz lahmlegte. Eine Serie von Antiterrordekreten, so Americas Watch, bedroht jetzt vor allem die freie Presse und die Menschenrechtsorganisationen, denen der Staatschef wiederholt „Terrorismus-Apologie“ vorgeworfen hat. Terrorismus-Apologie wird durch die Notstandsgesetzgebung zum Delikt, das mit sechs bis zwölf Jahren Freiheitsstrafe geahndet wird. Eine Definition des Delikts bleibt das Dekret allerdings schuldig — und damit öffnet es der Willkür Tür und Tor.

Senderos Terror nicht beeinträchtigt

Wer des „Terrorismus“ verdächtig ist, kann jetzt zwei Wochen in völliger Isolation gehalten werden. Der Prozeß wird ihm unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor einer Art Geheimtribunal gemacht. „Währenddessen deutet wenig darauf hin, daß Fujimoris Putsch die Fähigkeit Senderos, Terror zu säen, beeinträchtigt hat“, schreibt Americas Watch — ein Fazit, gefällt schon vor der Serie von Bombenattentaten in Lima, die seit Mitte Juli über fünfzig Todesopfer gefordert haben. Der Rachefeldzug der Guerillaorganisation, der auch vor Anschlägen in belebten Geschäftsvierteln nicht haltmacht, ist die Vergeltung für ein Massaker in der Haftanstalt Canto Grande. Fujimori hatte Anfang Mai die zwangsweise Verlegung aller politischen Gefangenen angeordnet. Bei der drei Tage andauernden Evakuierung, die laut Regierungsquellen unter „größter Zurückhaltung“ seitens der Sicherheitskräfte vollzogen wurde, kamen 39 politische Gefangene und drei Polizisten ums Leben. Vizeinnenminister David Mejia erklärte gegenüber Americas Watch, die Toten seien Opfer einer Häftlingsrevolte gewesen.

Überlebende sagten hingegen aus, daß mehrere Häftlinge gezielt exekutiert worden seien. „Die Weigerung der Behörden, während oder nach den Zwischenfällen Beobachter ins Gefängnis zu lassen, erhärtet diesen Verdacht“, heißt es im Bericht. Es könne auch kein Zufall sein, daß vier der wichtigsten Kommandanten des Sendero Luminoso dabei umgekommen seien. Nach hastigen Autopsien, deren Resultate bis heute der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, wurden die Leichen den Angehörigen übergeben und verbrannt.

Kein Hofgang und nur Tee und Suppe

Americas Watch durfte immerhin nach der gewaltsamen Verlegung mit den weiblichen Häftlingen im Santa- Monica-Gefängnis sprechen. Die vorgefundenen Haftbedingungen nannte die Delegation „schockierend“: Seit der Verlegung durften die Gefangenen weder ihre Anwälte noch Familienbesuch empfangen. Sie wurden zu zweit oder zu dritt in Zellen gehalten und hatten weder Kontakt zu den restlichen Gefangenen noch Anspruch auf gelegentlichen Hofgang. Nach drei Wochen trugen sie noch immer als einzige Garnitur ihre Kleidung aus Canto Grande. Und während derselben Zeit durften sie nur zweimal duschen. Bücher, Zeitungen und selbst Radios waren streng verboten, als einzige Nahrung gab es manchmal nur Tee und Suppe.

Der Bericht fordert von der Regierung Aufklärung auch über eine Reihe von Verschleppungen, außergerichtlichen Hinrichtungen und Vergewaltigungen, die eindeutig der Armee oder den Sicherheitskräften angelastet werden können. Er schließt mit einer Kritik an der Haltung der USA. Denn während das State Department und vor allem Vizeaußenminister Bernard Aronson durch ihre entschiedene Verurteilung des Fujimori-Putsches wahrscheinlich die Freilassung von Journalisten und Politikern in den ersten Tagen beschleunigten, habe das Weiße Haus sehr zweideutige Signale nach Lima gesandt. Zuletzt unterstützten die USA sogar die Freigabe eines 400-Millionen-Dollar- Kredits. Americas Watch findet diese Entscheidung unverständlich, denn „die zwingenden Menschenrechtsbedenken gegen solche Hilfe, die schon vor dem Coup bestanden, sind seit den Aktionen der Regierung vom 5. April noch verstärkt worden“.