Kann nur der Ausverkauf Polen retten?

In Tychy streiken die Arbeiter des Autowerkes FSM, weil der Fiat-Konzern die Firma übernehmen will  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

„Bis zum Sieg“ wollen sie streiken, die Arbeiter des Autowerkes FSM im polnischen Tychy. Anfang letzter Woche waren sie gegen den „Ausverkauf an ausländisches Kapital“ in den Ausstand getreten. In der Kleinstadt bei Katowice wird nämlich seit 1987 im Auftrag des italienischen Fiat-Konzerns der Kleinwagen Cinquecento hergestellt. Da das FSM- Werk auf einem 500 Millionen Dollar hohen Schuldenberg sitzt, soll der italienische Autoproduzent nun einspringen und die Firma übernehmen.

Im Mai schlossen die polnische Regierung und der Turiner Fiat- Konzern ein Abkommen, laut dem der größte Teil von FSM in einem Joint-venture aufgehen soll, das die Italiener zu 90% übernehmen werden. Die FSM-Arbeiter jedoch fühlen sich durch das Verhandlungsergebnis betrogen.

Nachdem am letzten Donnerstag streikende Arbeiter das Direktionsgebäude einige Stunden lang belagert hatten, und erst nach dem Eintreffen von Polizeieinheiten abgezogen waren, drohte die Direktion mit der Entlassung aller Beschäftigten, die nicht zur Arbeit erschienen. Denn nach ihrer Ansicht hindert eine kleine Gruppe Aufrührer die Mehrzahl der arbeitswilligen Beschäftigten des Werkes an der Arbeit.

Aufgeben wollen die Streikenden jedoch auf keinen Fall, wie einer ihrer Sprecher dem polnischen Fernsehen erklärte. Sie fordern vor allem eine drastische Lohnerhöhung auf 10% des Verkaufspreises eines Cinquecento. Diese Forderung, die Löhne an den Verkaufspreis der Autos zu koppeln, haben die polnischen Arbeiter von ihren italienischen Kollegen übernommen. In Italien betragen die Lohnkosten 20% der Produktionskosten der Fiat-Automobile. In Polen dagegen liegen sie mit um die 2 Millionen Zloty (rund 220 DM) bei fast einem Zehntel der italienischen. Aufgebracht hat die Arbeiter auch, daß italienische Spezialisten in Tychy oft mehr als den zehnfachen Lohn ihrer polnischen Mitarbeiter erhalten.

Die Gewerkschaft im FSM-Werk kritisierte außerdem, daß unter strengster Geheimhaltung und oft auch über den Kopf der Werksleitung hinweg über das neue Joint-venture verhandelt wurde. Aber ohnehin konnten die polnischen Unterhändler die Turiner nur mit größter Mühe zur Übernahme der auf 501 Millionen Dollar geschätzten Devisenschulden der Fabrik bewegen. Die Schulden entstanden vor allem durch Kredite von Fiat für die Produktion des Cinquecento, der bisher vor allem exportiert wurde. Polens Finanzminister übernimmt dafür die Binnenschulden in Höhe von 4.601 Milliarden Zloty (353 Millionen Dollar), von denen er den Banken allerdings nur 207 Millionen Dollar, noch dazu mit sechsjähriger Karenzzeit und in 20 Halbjahresraten zurückzahlen will.

Insgesamt will Fiat in sechs Jahren bis zu 2 Milliarden Dollar in das südschlesische Werk stecken. FSM soll Hauptbrückenkopf der Turiner für Osteuropa werden, nachdem Fiat bereits in anderen Ländern vergeblich versuchte, Fuß zu fassen. So mußte eine anderthalb Milliarden- Dollar-Investition in ein Joint-venture bei Moskau wegen Zahlungsschwierigkeiten der russischen Regierung vertagt werden.

Der Vorwurf der Gewerkschaften, die Regierung habe FSM den Italiener fast geschenkt überlassen, trifft allerdings kaum zu. Für die Fabrik in Tychy gab es nämlich gar keine anderen Interessenten. Insofern ist der von den Gewerkschaften bekämpfte „Ausverkauf an ausländisches Kapital“ die einzige Rettung für FSM.

Mit dem „Streik bis zum Sieg“ scheinen die Arbeiter in Tychy allerdimngs ein Eigentor geschossen zu haben: Geben sie nach, verlieren sie das Gesicht vor der Belegschaft und Turin kann schalten und walten wie es will. Kommt es anders und Fiat zieht sich zurück, geht der Betrieb Konkurs, weil niemand seine Schulden übernimmt. So oder so ist Fiat der lachende Dritte und die Belegschaft vom Turiner Konzern abhängig.