FREIE WAHL DER TODESART Von Andrea Böhm

Zur Zeit gibt es hier, in „God's own country“, nicht viel zu lachen. Schon gar nicht in jenen Landesteilen, die angeblich während des ganzen Jahres von der Sonne geküßt sind. Luftaufnahmen aus Florida sehen zur Zeit aus, als hätte der liebe Gott einen Eimer Spaghetti ausgekippt. Die Bewohner klauben jetzt in der Augusthitze aus den Trümmern zusammen, was Hurrikan „Andrew“ übriggelassen hat. Am anderen Ende des Landes, in Kalifornien, ist Vater Staat vor zwei Monaten das Geld ausgegangen. Er bezahlt seine laufenden Rechnungen nur noch mit Schuldscheinen und steht kurz vor dem Kollaps. Ein gerüttelt Maß an Verantwortung dafür trägt Gouverneur Pete Wilson. Der Republikaner kann sich seit acht Wochen mit seinem von Demokraten kontrollierten Parlament nicht auf einen Haushalt für 1992/93 einigen.

Weil Kalifornien für das kommende Haushaltsjahr ein Defizit von über zehn Milliarden Dollar droht und die einst blühende Tourismusbranche nach dem Aufstand von Los Angeles arg eingebrochen ist, scheut man keine Mühen, um Gäste ins Land zu locken. Jüngste Attraktion ist das Gefängnismuseum von San Quentin mit einem besonderen Nervenkitzel für jung und alt: Gleich neben dem Souvenirshop ist die Abteilung „Todeszelle“. Da kann sich die Urlauberfamilie aus Mainz, Milwaukee oder Mailand die maßstabgetreue Nachbildung der Gaskammer ansehen, in der erst im Frühjahr der zum Tode Verurteilte Robert Alton Harris erst angeschnallt, dann abgeschnallt, dann wieder angeschnallt und schließlich hingerichtet wurde.

Echten Gänsehautfans oder Sadisten wird Geschichte zum Anfassen geboten — in Form der Originalgalgen, durch die kalifornische Delinquenten bis 1942 umgebracht wurden. Ein ehemaliger Vollzugsbeamter, der zwischen 1924 und 1954 an 150 Hinrichtungen beteiligt war, hat seine persönliche Sammlung von Minigalgen zur Verfügung gestellt, die er mit den Gefängnisnummern der Delinquenten geschmückt hat.

Aber was bleibt dem gebeutelten Bundesstaat anderes übrig, als nun auch seine finstersten Ecken zu kommerzialisieren, wo doch vom Goldrausch kein blasser Schimmer mehr übrig ist. Schließlich ist der Markt so frei wie das Individuum. Und wo Nachfrage herrscht, da ist auch Angebot. Oder andersrum?

Die (Entscheidungs-)Freiheit des Individuums würdigte unlängst Gouverneur Pete Wilson in unnachahmlicher Weise. Während sein Staat, wie gesagt, kurz vor dem Kollaps steht, bemüht sich Wilson vor allem um die Aufrechterhaltung der Todesstrafe. Offensichtlich soll das neue Museum nur ja nicht den Bezug zur Gegenwart verlieren. Robert Alton Harris, der mit Hilfe seiner Anwälte im April diesen Jahres fast den staatlichen Killern in San Quentin entkommen wäre, hatte unter anderem geltend gemacht, daß die Exekution in der Gaskammer eine grausame und unwürdige Bestrafung darstellt und somit verfassungswidrig ist. Das hat ihm am Ende zwar nichts genutzt. Doch für den Fall, daß der Oberste Gerichtshof sich diesem Argument irgendwann einmal aufgeschlossen zeigen könnte, hat Wilson nun vorgesorgt. In Kalifornien dürfen zum Tode Verurteilte jetzt wählen: zwischen dem Erstickungstod in der Gaskammer und dem künstlichen Herz- und Lungenstillstand durch die tödliche Injektion. Die Todestrakt-Insassen können jetzt nur noch auf eines hoffen: daß aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des Staates demnächst die Henker streiken.