piwik no script img

DEBATTEIch habe einen Traum

■ In Rostock liegt auch eine Chance

Ich habe an der Demonstration gegen das Pogrom in Rostock teilgenommen. Ich habe wie die vielen anderen Berliner Teilnehmer den entwürdigenden Kessel einer bayerischen Einheit des Bundesgrenzschutzes bei Dummerstorf mit Humor überstanden. Mein Motiv: Ich will keine jugoslawischen Verhältnisse in Deutschland. Die Demo wurde zu einem großen Erfolg, aber ich kann sie nur als einen Anfang betrachten — warum?

Ich verabscheue inzwischen Uniformen, mich widern die uniformen Glatzköpfe und Fliegerjacken der Skinheads an, genauso wie ich die Springerstiefel verabscheue. Bedauerlicherweise waren die sicher Schweißfüße und Fußpilz fördernden Springerstiefel auch an den Beinen von Demonstrationsteilnehmern weit verbreitet. Sie sind für mich zu einem Symbol, einer Art Vorboten des Bürgerkriegs geworden.

Manch einer mag dies für übertrieben halten. Aber warum wurde in Rostock ständig dazu aufgerufen, in festen Ketten zu marschieren — auch wenn keine Gefahr drohte. Diese Art von Demonstration ermöglicht keine Auseinandersetzung mit den Außenstehenden. Ich habe die Bürger aus Rostock-Lichtenhagen nicht als meine Gegner betrachtet. Noch bei keiner Demonstration habe ich so viele Menschen am Straßenrand und an offenen Fenstern gesehen. Sie haben sich nicht eingereiht, ich glaube auch nicht, daß die Demonstration einer Bewohnerin oder einem Bewohner Rostock-Lichtenhagens gegenüber besonders einladend wirkte. Aber sie haben etwas anderes gesehen als sonst. Das Anderssein anderer Menschen ertragen lernen, Ideen für das eigene Anderssein erleben.

Die Demonstration wurde gegen Ende immer lockerer, weil sich die Straßenschlachterwartungen vieler nicht erfüllten. Dies lag an der Disziplin der Teilnehmer einschließlich der Autonomen, aber auch daran, daß sich die Neonazis angesichts der Größe der Demonstration nicht aus ihren Löchern wagten. Es lag aber auch an der Zurückhaltung der von den vorangegangenen Einsätzen gegen Neonazis sichtlich ermüdeten niedersächsischen Polizisten. Nicht nur die Schablone „Links gleich Rechts“ ist falsch, sondern auch die: „Alle Polizisten sind Schweine“.

„Nazis raus!“ Wie und wohin sollen sie denn „entsorgt“ werden? „Nie wieder Deutschland“, die „Antithese“ zu „Deutschland, Deutschland über alles“, genauso inhaltsleer und in der Geisteshaltung selbst — „typisch deutsch“. Ein israelischer Journalist meinte neulich, die Deutschen müßten ihre Selbstachtung finden. Er ist am Kern des Problems.

Die leidige Gewaltfrage, Problemkind nicht nur der Grünen. Die Zeiten werden härter werden. Nicht nur weil die Zahl der gewalt- und tötungsbereiten Rechtsradikalen wächst. Es muß auch damit gerechnet werden, daß die konservative Regierung mit diesem Potential spielt. Ich werde das Gefühl nicht los, daß es nicht nur blockflötet, es scheint auch zu barscheln. Wenn in dieser Situation des Auslaufens der Wohlstandsrepublik und des Wegbrechens bisheriger Selbstverständlichkeiten Gefahren in der nun einmal so genannten Linken bestehen, dann diese:

1.Der Rückfall in die einfachen Denkschablonen der Weimarer Republik. Es ist in der heutigen Umbruchsituation möglich, die in diesem Volk verbundenen und gewachsenen demokratischen Anschauungen und Lebensweisen zu verteidigen. Das erfordert Aufgeschlossenheit, Wahrnehmungsbereitschaft, Ideenreichtum, Energie, Einsatz, Mut, aber auch Geduld. Wer es nicht versteht, seine zur Gewalttätigkeit drängenden Gefühle zu beherrschen, der wird im Bürgerkrieg enden.

2.Die Rettung in eine neue deutsche Gemütlichkeit. Die 68er und Folgende im Ruhestand sollten begreifen, daß sie ihre noch vorhandene Gesinnung jetzt nicht mehr nur im Marsch durch die Institutionen, in den freien Berufen oder in Alternativläden ausleben können, sondern auch wieder in der Öffentlichkeit tatkräftig dokumentieren sollten.

Ich habe einen aus der Notwendigkeit geborenen Traum: Die 68er und Folgende überwinden endlich ihre auch politische Midlife-crisis, befreien ihren Grips von verkrusteten Weltanschauungen, nutzen ihren Verstand und ihre Erfahrungen für neue Ideen, um der Misere in der politischen Sphäre dieser Republik abzuhelfen. Rostock ist eine neue Chance, wenn nicht jetzt, wann dann? Rebekka Schmidt,

Rechtsanwältin, Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen