Multiple Personen

Eröffnung der 49. Internationalen Filmfestspiele in Venedig/ Anspruch und Wirklichkeit  ■ Aus Venedig Christiane Peitz

Der erste Blick fällt auf „Batmans Rückkehr“. Vor dem Festivalpalast am Lido verstellen Plakatwände mit Kinowerbung das Strandpanorama, wie jedes Jahr. Nur daß diesmal nicht die Wettbewerbsfilme annonciert sind: Zur Eröffnung der 49. Filmfestspiele Venedig flankieren Tim Burton und „Alien 3“ den Abendhimmel über der Adria. Auch das Pressezentrum im Casino ist zur Seite gerückt. Wo sonst die Biennalebüros residierten, klingeln jetzt die slot machines, und in der Eingangshalle trennt eine Stellwand die Zocker von den Cineasten. Dabei sollte diesmal eigentlich alles ganz anders werden. Schon vor Wochen hatte der neue Festivalchef Gillo Pontecorvo versprochen, die Biennale 92 werde ein Fest fürs Autorenkino. Krieg den Majors und Freiheit für die Filmkunst: Eine Eurokino-Charta will Pontecorvo in den nächsten Tagen am Lido initiieren, im Wettbewerb um den Goldenen Löwen laufen neue Produktionen von Tavernier, Sautet, Iosseliani, Bigas Luna, Luis Puenzo, Zhang Yimou, Ousmane Sembene und Peter Handke, und der Corriere della Sera schwärmte vorab von der utopischen Rettungsaktion des 70jährigen Regisseurs. Altkritiker Tullio Kezich: „Bravo, Gillo!“ Von wegen Filmkunst. Der Kampfansage folgte der Kotau. Auf der ersten Pressekonferenz mußte Pontecorvo nicht nur gestehen, daß Jury-Präsident Peter Bogdanovich einen Tag vor Festivalbeginn seine Mitarbeit abgesagt hat und ein Ersatz noch nicht gefunden ist; er verlieh auch gleich zwei Sonderlöwen. Einer davon geht an Francis Ford Coppola, dessen neueste Produktion nicht einmal wie ursprünglich vorgesehen am Lido zu sehen ist. „Dracula“ feiert seine Premiere in diesen Tagen auf dem Filmfest in Toronto. Und Edgar Reitz' 26-Stunden-Film „Zweite Heimat“, das Mammut- Ereignis der diesjährigen Biennale, wird ebenfalls nicht wie gewünscht zwei Tage lang nonstop gezeigt, sondern häppchenweise ins laufende Festivalprogramm gestopft. So versteckt man seine Schätze, statt sie zur Schau zu stellen.

Auch die Eröffnungsgala durften die USA bestreiten, mit Brian de Palmas „Raising Cain“. Ein Thriller, im Mittelpunkt Carter Nix, eine multiple Persönlichkeit — Dr.Jekyll und Mr.Hyde hoch zwei. Wie Carter alias Cain das Produkt einer grausamen Manipulation ist, so will auch de Palmas Film die Manipulation durch Bilder bloßlegen: Kino sei Leben aus zweiter Hand, der Horror und die Romantik technisches Machwerk. Deshalb bemüht de Palma Bilder wie aus der Margarine-Werbung, glatte Gesichter, schräge Kamera, Horror aus der Retorte. De Palma bedient die Maschinerie, daß die Räder nur so rattern und die Oberfläche funkelt. Wieder spielt er mit Genreparodie und Filmzitat und parodiert noch die Parodie, zitiert das Zitierte. Das Problem: Anders als in „Die Unbestechlichen“ beherrscht er diesmal nicht sein Handwerk, die Technik beherrscht ihn. „Raising Cain“ ist reiner Kunsthonig, desinfiziertes Kino, garantiert geruchs- und geschmacksfrei. Die Maschine läuft wie geschmiert, in Gang setzt sie nichts. Die Biennale hat noch nicht begonnen.