"Lieber über die Filme reden!"

■ Der Countdown läuft: Filmfest-Chefin Rosemarie Schatter zum Stand der Dinge

zum Stand der Dinge

Der laut und öffentlich ausgetragene Streit hinter den Kulissen des Hamburger Filmfestes, das sich als Zusammenlegung des Europäischen Low-Budget Film Forum und der Hamburger Kinotage in dieser Form das erste Mal präsentiert, ist mit Hilfe der Festival-Leiterin Rosemarie Schatter geschlichtet: „Es kommt immer zu Meinungsverschiedenheiten, wenn zwei Parteien unter einen Hut zu bringen sind. Ich will lieber über die Filme reden“, sagt die 42jährige Juristin resolut.

Immerhin hat Rosemarie Schatter, die aufgrund ihrer 20jährigen Arbeit als Festivalorganisatorin über breitgestreute Branchenkontakte verfügt, in nur fünf Monaten Vorbereitungszeit ein Programm zusammengestellt, das sich buchstäblich „sehen lassen“ kann.

Beginnen wird das erste Hamburger Filmfest am Mittwoch den 30. September 1992 mit einem Novum: In dieser Nacht werden in 28 Kinos 13 Vorpremieren von Filmen gezeigt, die erst im Herbst offiziell in den Kinos anlaufen. Zu diesen Vorpremieren werden mit Unterstützung der Verleiher prominente Gäste eingeladen.

Wer da allerdings persönlich anzutreffen ist, kann Rosemarie Schatter noch nicht verraten - wegen der „Unwägbarkeiten“ im Filmgeschäft. So mußte Woopy Goldberg, die in der Premierennacht in der US-Komödie Sister Act zu sehen ist, absagen, weil ihr die TV-Firma, für die sie zur Zeit dreht, „Reiseverbot“ erteilte. Einladungen sind auch an Bertrand Tavernier, Larry Fishburne, Barbet Schröder, Kim Novak und Allan Bates verschickt worden.

„Wir wollen mit den Filmen zum Publikum kommen und ihm ein Programm präsentieren, das der Vielfalt der internationalen Produktion Rechnung trägt“, erklärt Rosemarie Schatter. Tatsächlich hält das Vorpremieren-Programm vom provokativen Peter-Kern-Film bis zur hochkarätig besetzten Hollywoodproduktion für jeden Geschmack etwas bereit und erstreckt sich, über die Festival-Kinos Abaton, Alabama, 3001, Holi, Metopolis, Studio, Thalia hinaus, von den Elbvororten bis nach Wandsbek flächendeckend über ganz Hamburg.

Die 13 Eröffnungsprogramme sind Teil der Internationalen Reihe, die außerdem noch programmfüllende Erstlingsfilme, kinogeeignete Kurzfilme und eine Reihe mit File-

1men des „anderen“ Hongkong vorstellt. Die meisten dieser 42 internationalen Produktionen sind beachtliche Filme, die jedoch noch keine Verleih-Firma gefunden haben, und denen die Festival-Leitung durch die Aufnahme ins Programm eine Chance geben möchte: „Hier können Filme nochmals mit Publikum 'getestet' werden und dadurch die Verleiher zum Kauf anregen. Das ist Sinn des Festivals.“

Der Länderschwerpunkt widmet sich dem Staat Brasilien. Im Focus Brasilien wird unter historischem und kulturellem Gesichtspunkt die Kinoproduktion dieses Landes vorgestellt, die wegen ihrer florieren-

1den Kino-Kurzfilmproduktion etwas Besonderes ist. Für die Zusammenstellung dieser Reihe konnte Rosemarie Schatter Jean-Claude Bernadet gewinnen, der die Cinematek Sao Paulo leitet - die weltweit größte Filmsammlung.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Hamburger Reihe. Hier werden acht Programme mit Filmen, die entweder in Hamburg oder mit Hamburger Filmförderungsmitteln entstanden sind, gezeigt. Bis auf eine Produktion feiern die Dokumentar-, Animations-, Kurz- und Spielfilme Premiere.

Ohnehin genießt der Kurzfilm bei diesem Filmfest besondere Auf-

1merksamkeit. Jedem abendfüllenden Film ist ein kinogerechter Kurzfilm vorangestellt. Ein Beutestück ist das zehnminütige Debüt der Franzosen Jeunet und Caro, die hier mit Delikatessen bekannt geworden sind.

Bei dieser Vielfalt wundert es, daß das mit nur 850000 Mark von der Kulturbehörde und 200000 Mark Sponsorengeldern finanzierte Filmfest die Preise vom letzten Jahr beibehält. Die Eintrittskarte wird für jede Veranstaltung 9 Mark, am Eröffnungstag 7 Mark kosten - denn dieser ist ein Mittwoch, und Mittwoch ist Kinotag!

Bettina Hennig