Eine Chance für Kurze

■ »Die Frühlingsrolle«: Neue Kurzfilme im Kreuzberger Kellerkino

Ex oriente? Nein, nicht lux — Ruß. Und der Beweis, daß die Fünfziger noch längst nicht zu Ende sind. Es lebe die schiefe Kamera vor der Fabrik. In der »Frühlingsrolle« des Kreuzberger Kellerkinos bemühen von zehn Kurzfilmen gleich drei die Ost-Romantik. Honecker, Hinterhöfe und zerbröselte Straßen, was fehlt, ist der DEFA-Belehrungsfilm — Hausbuchführer, Abschnittsbevollmächtigte und Verhalten bei Gasgeruch.

Statt dessen — Aids-Beratung. Hätte Klaus Lüttmer sein Konzept bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eingereicht, müßte er nicht mit 16-mm-Schwarzweißmaterial arbeiten. Möglicherweise tat er's sogar. Die Verhandlungen dürften am Unwillen des Regisseurs gescheitert sein, den Monolog seines Protagonisten ins Deutsche zu übertragen. Ein Londoner Detektiv läuft durch dunkle Straßen, Angriff, aufblitzender Pistolenlauf, Schuß und Schnitt — die Projektile hängen im Gummi...

Die Filmemacher toben sich in den verschiedensten Genres aus. Grimms Rotkäppchen wird ein Road-Movie im Wald mit Verfolgungsjagd — »Lykanthophobia« ist ein Crescendo aus Bildern, die umschlagen in grundloses Hetzen, Wirbeln und ekligen Farbmatsch. Im siebenminütigen »Zum Nachtisch nichts ...« von Klaus Lüthje und Robert Kührt sitzt der Ekel dann schon von vornherein am Tisch: Voyeure vor einem in erotischem Tanz zuckenden Körper. Die Anlehnung an Greenaway ist aufdringlich, weit weniger abgestanden »Lockruf des Blutes« von Andreas Fischer, die Geschichte des Arbeitslosen Baumzelt, der zum Feuerwehrmann avanciert und fortan eingedrückte Glasscheiben von Notrufsäulen auswechselt. Schnurgerader Handlungsablauf knapp und zügig; eine Art Stummfilm, bei dem die Details der Einfachheit halber aus dem Off erzählt werden. Ein bißchen Typenkomik, ein bißchen Slapstick, ein bißchen Alltag und abruptes Ende. Nicht minder straff durchkomponiert der als »Klassischer Stummfilm« apostrophierte »Scobermix« von Thomas Zickler und Fayd Jungnickel: Böses im Stil von Dracula-und-Der-Tod- und-das-Mädchen — Holde Schöne im Negligé von unbekanntem Geist dahingemeuchelt.

Der Name »Frühlingsrolle« steht indessen für ein weitergehendes Projekt. Kurzfilme, die unterhalb hochgesteckter Budgetmauern und unabhängig produziert werden, erreichen kaum ein Publikum. Die Initiatoren des Kellerkinos kündigen deshalb ein »permanentes internationales Kurzfilmfestival« nach dem Hitparadenprinzip an: Wer immer einen No- Budget-Film gedreht hat, kann ihn einreichen: Das Programm soll monatlich erneuert und vom Publikum bewertet werden. Der erst- und die beiden letztplazierten Filme scheiden aus, aus der Extrarolle der Sieger wird am Ende die »Goldene Frühlingsrolle« ermittelt. Friederike Freier

ab 4.9. Dresdener Straße 125